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DIE FURCHE 01.06.2023

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DIE FURCHE · 22 20 Performance 1. Juni 2023 DIE FURCHE: Spielplätze sind doch auch sehr stark reglementierte Plätze, mit wenig Freiraum ... Uhlich: Ja. Neben den streng TÜV-geprüften und normierten Einrichtungen gibt es zwar sehr wohl auch andere Möglichkeiten, etwa Sandspielkästen, Spielwiesen. Hier können sich Kinder frei und kreativ bewegen, ihre eigenen Spiele entwickeln. Aber alles in allem ist der Ort klar definiert und reglementiert. Als Choreografin sehe ich hier auch cineastische Felder, den Spielplatz als eine Art Kinoleinwand. Spielplätze sind laute, bunte Orte, an denen Kinder aus verschiedenen Kulturen aufeinander treffen. Und bestenfalls ist es denen egal, aus welchem Land oder welcher Kultur sie kommen, wenn sie etwa zusammen schaukeln wollen. Dieses körperliche Miteinander ist viel direkter und intensiver im Austausch als verbale Kommunikation. Am Spielplatz sieht man aber auch Kinder, die sich zurückziehen, träumen, nachdenken. Und hier kommt wieder die Frage der Melancholie für mich ins Spiel. Manchmal wird man von ihr geradezu überfallen, weil so viel um einen herum passiert. Man kann sich aber auch aktiv in diesen Zustand versetzen. Wenn einen viel beschäftigt, dann braucht es Rückzug, um sich zu sortieren. Ich bin sicher, dass auch Kinder melancholisch sein können. Das Gespräch führte Julia Danielczyk Die Produktionen der Tänzerin, Performerin und Choreografin Doris Uhlich sind immer außergewöhnlich. Ab 7. Juni präsentiert sie ihr neuestes Stück „Melancholic Ground“ bei den Wiener Festwochen. Ein Spielplatz an der Alten Donau wird zur Bühne von 14 Performerinnen und Performern, die der Mehrdeutigkeit des Spiel-Begriffes und dem vielseitigen Verständnis von Melancholie nachgehen. Wie diese beiden Begriffe zusammenhängen, erzählt Doris Uhlich im Gespräch mit der FURCHE. DIE FURCHE: Was bedeutet der Titel „Melancholic Ground“? Doris Uhlich: Als Künstlerin schaue ich gerne in verborgene Bereiche. Im Fall von „Melancholic Ground“ gehe ich der Melancholie nach, einem körperlichen Zustand, der alles andere als bühnentauglich ist, mich aber auch gerade deswegen interessiert. Ich sehe in der Melancholie eine Art Rückzug, aber nicht als Depression, Passivität oder Antriebslosigkeit, sondern einen Zustand der aktiven Nachdenklichkeit, FEDERSPIEL Korrektes Klingeling Doris Uhlich In ihren Produktionen hinterfragt die Choreografin (*1977) oft gängige Formate und Körperbilder. Dafür wurde sie mehrfach prämiert. „ Als Choreografin sehe ich hier auch cineastische Felder, den Spielplatz als eine Art Kinoleinwand. “ Die Choreografin, Performerin und Tanzpädagogin Doris Uhlich über einen Ort der Kindheit, den sie im Rahmen der Wiener Festwochen ins Zentrum ihrer Arbeit stellt. Melancholie am Spielplatz ein rotierendes Schweben. Die Verbindung zum Spielplatz sehe ich insofern, als dass Spielplätze immer auch Orte sind, an welchen wir den Körper auf spezielle Weise erfahren und in Wettbewerb zu anderen treten. Doch wir sind fragile Wesen, da kann es eben nicht immer nur um „höher, schneller, weiter“ gehen. DIE FURCHE: Was davon beschäftigt Sie besonders? Unlängst habe ich mich in Essen an einem Podiumsgespräch zum leidigen Thema „Canceln“ beteiligt. Da ging es auch um heute verpönte Begriffe und darum, wie mit ihnen in alten Texten umzugehen sei: Soll man sie im Sinne philologischer Wahrhaftigkeit und historischer Diskurstreue einfach zitieren oder mit Rücksicht auf aktuelle Empfindlichkeiten umschreiben bzw. durch Prothesenwörter ersetzen? Mithu Sanyal, Autorin des ebenso klugen wie witzigen Romans „Identitti“, plädierte für das letztere, hielt aber fest, dass die Entscheidung gegen die überkommenen Begriffe eine willkürliche gewesen sei – genausogut hätte man versuchen können, sich der inkriminierten Wörter zu „bemächtigen“ und sie zur selbstbewussten Eigenbezeichnung umzudeuten. (Wie das etwa mit den Begriffen „schwul“, „gay“ und „queer“ passiert ist.) Auf meine Frage, wie eigentlich das Wort „Flüchtlinge“ in Verruf geraten sei, sodass es in Deutschland (aber zunehmend auch in Österreich, etwa im ORF) routinemäßig durch „Geflüchtete“ ersetzt werde, meint Sanyal, das habe wohl damit zu tun, dass viele es dank der Nachsilbe „ling“ als verniedlichend empfinden würden. Ah ja, denke ich jetzt, Däumling, Keimling, Säugling. Der Findling ist nur als Stein groß, als Kind klein. Aber Wüstling, Rohling, Feigling? Da sind die Assoziationen vielleicht wiederum allzu negativ. Dann gibt es aber noch den Schmetterling und den Sperling, den Neuling, Höfling, Firmling, Schützling, Jüngling, Frühling, Liebling. Lauter hochanständige Wörter. Weshalb ich glaube, dass die Diskriminierung des armen Flüchtlings ein reiner Willkürakt war, Ergebnis einer Basisgruppendiskussion zu vorgerückter Stunde, die eine „Aktion gegen Rechts“ beschließt und ein Wort erfindet, das seither Karriere gemacht hat, schlicht weil im medialen Sprachgebrauch Beispiel und Wiederholung zählen, und nicht logische Begründung. Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin. Von Daniela Strigl Uhlich: Mit dem Spielplatz verbindet man einen Ort der Kindheit und des Erwachsenwerdens. Man lernt sich auszuprobieren, spielerisch erfährt man sich, die Umgebung, die Welt. Allein und mit anderen gemeinsam, mit und ohne Gerätschaften. Ich sehe hier zwei Ebenen: einerseits den pädagogischen Wert und andererseits den spielerischen Wert. Auch finde ich die Geschichte von Spielplätzen interessant: Mit dem schnellen Wachstum der Städte mussten eigene Räume für Kinder geschaffen werden. Diese wurden und werden von Erwachsenen entwickelt. Und irgendwie wirken manche Spielplätze ja auch wie Miniatur-Einrichtungen Erwachsener, da sind Autos, Schlösser, Burgen. Und ich frage mich: Welchen Spirit, welche Ideen geben wir Kindern? Spielplätze sind auch Orte, an welchen sich Künstler(innen) und Architekt(inn)en ausprobieren, die Anordnung der Geräte ist spannend, die Aufteilung. Ab den 1970er Jahren ging es dann vermehrt um den Aspekt der Sicherheit. Aufgrund des zunehmenden Straßenverkehrs kam es zu zahlreichen Unfällen, vor allem auch mit Kindern, sodass Spielplätze gezielt als sichere Orte für Kinder entwickelt wurden. Foto: Katarina Soskic Foto: Alexi Pelekanos DIE FURCHE: Sie besetzen den Zustand der Melancholie interessanterweise positiv. Und politisch. Uhlich: Die Melancholie verbindet man tatsächlich in erster Linie mit negativen Konnotationen. Der Melancholiker gilt als arbeitsunfähig, weil er sich ausklinkt. Auch hat die Melancholie in unserer Spaßgesellschaft nicht vorzukommen. Historisch wird der Melancholie der Saft der Schwarzen Galle zugeschrieben. Und dann wieder sind Ideen des Genialen damit verbunden. Meist überfällt Melancholie einen und man geht in den Rückzug. Ich sehe sie vor allem als Reaktion auf gesellschaftliche Phänomene, insofern ist die Melancholie auch eine politische Figur. Sie kann ein Ergebnis des ewigen Sich-Messens sein, des andauernden Wettbewerbs. Der Melancholie wird zwar Schwere und Schwermut zugeschrieben, ich aber glaube auch an eine Leichtfüßigkeit in der Melancholie. Im DJ-Set von Boris Kopeinig wird diese Widersprüchlichkeit hörbar. Da treffen zum Beispiel mit einem Synthesizer erzeugte Windgeräusche auf melancholische Songs und elektronische Beats. DIE FURCHE: Die Performerinnen und Performer tragen silberne Anzüge. Was erzählen uns die Kostüme? Uhlich: Silber ist an diesem Spielort eine präsente Farbe. Das am Spielplatz verwendete Material ist oft silbern, etwa die Rutschen. Das integriere ich, ich arbeite ja stark visuell. Und wir möchten auch, dass man die Performer(innen) als Teil des Spielplatzes wahrnimmt. Außerdem muss man die Akteure und Akteurinnen als solche erkennen und vom Publikum unterscheiden können. Damit ist das silberne Kostüm ein Code, ein Zeichen. Zugleich wieder verschwinden die Künstler(innen) camouflageartig in und zwischen den Spielgeräten; manchmal werden sie selbst zum Spielgerät. Aber auch Grenzen machen wir erkennbar; ein Rollstuhl-Tänzer etwa ist in seinem gesamten Leben noch nie auf einer Schaukel gesessen. In „Melancholic Ground“ dreht er den Spieß um und bewegt mit seinem Fuß die Schaukel. Insgesamt ist das Spiel in seinen verschiedensten Facetten präsent. Auch in den problematischen. Denn es gibt ja auch schlimme Spiele. Wenn jemand mit einem anderen Menschen „spielt“. Was verbindet man damit? Im übertragenen Sinn setzt sich der Spielplatz im eigenen Leben fort: Wer spielt mit wem welche Spiele? Das ist die Grundfrage von „Melancholic Ground“. Melancholic Ground Sparefroh-Spielplatz Donaupark 7., 9.6.: 20 Uhr; 8., 10.6.: 9 Uhr Ab 10 Jahren, Eintritt frei www.festwochen.at

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