DIE FURCHE · 22 18 Wissen 1. Juni 2023 Buntes Österreich Die Smaragdeidechse findet man an sonnigen und trockenen Plätzen, der Weißstorch steht für gesunde Feuchtbiotope. Den Luchs und die Große Sägeschrecke bekommt man in Österreich nur selten zu Gesicht. Illu: Rainer Messerklinger Fotos: iStock/phototrip, iStock/Anagramm, iStock/Wirestock und iStock/Michael Roeder Von Manuela Tomic MOZAIK Kommunisten- Ohr Mit 15 Jahren wollte ich meine abstehenden Ohren anlegen lassen. Ich habe sie von meinem Vater geerbt. Dieser war strikt gegen den Eingriff. „Im Kommunismus gab es das nicht“, rief er über den Tisch, „sei froh, dass du Ohren hast!“ Ich begann in der überfüllten Pizzeria zu weinen. Vor zwei Jahren rief mir ein Tauchgang meine Ohren wieder in Erinnerung. Ich dümpelte in der Wasserstille am Strand von Makarska. Über mir schwammen Hotel-Kuben neben Einkaufszentren aus Glas. Als ich wieder auftauchte, hatte ich Salzwasser im Kopf. Mein linkes Ohr blieb zu. Der kroatische Arzt gab mir Tropfen und eine teure Rechnung. Über ihm hingen abstehende Ohren wie meine. Kommunisten-Ohren, dachte ich. Daneben Preisschilder für Korrekturen. Seitdem rauscht mein linkes Ohr. Vor wenigen Tagen ging ich deshalb zum Arzt. Er klemmte meine Stirn in eine Halterung und setzte den Sauger an. Es roch nach Salzwasser. „Sei froh, dass du Ohren hast“, hallte es in meinem Kopf. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Möchten Sie mozaik abonnieren und das neueste Stück digital lesen? furche.at/newsletter Am Tag der Artenvielfalt gehen Experten und Laienforscher gemeinsam auf Entdeckungsreise. Über lokale Ausschnitte eines globalen Problems – und Überraschungen in vertrautem Terrain. Schätze vor der Haustür Von Martin Tauss Mit der Dämmerung kommt die Zeit der Fledermäuse. Blitzschnell tauchen sie auf, wie flüchtige Schatten sausen sie durch die Luft. Um sie zu fangen, braucht es viel Geduld – und feinmaschige Netze. Die Menschen, die ihrer so habhaft werden, werden die Tiere bald wieder freilassen: Sie wollen nur wissen, welche Exemplare sich hier im Wald tummeln. Andere stellen in der Dunkelheit Leuchttürme auf, um Insekten anzulocken, oder suchen Plätze auf, wo man seltene Vögel beobachten kann. Am Tag der Artenvielfalt kommen akademische Forscher und interessierte Laien zusammen, um ein kleines Stück Landschaft zu durchforsten. Alles dreht sich um eine große Frage: Was findet man da? Im Wienerwald zum Beispiel gibt es 21 der österreichweit 28 nachgewiesenen Fledermausarten, darunter so seltene Spezies wie die Bechsteinfledermaus, die Nymphen- und die Mopsfledermaus. In Klosterneuburg dreht sich das „Fest der Artenvielfalt“ um die Geheimnisse des angrenzenden Biosphärenparks. Expert(inn)en erzählen am 2. und 3. Juni über gefundene Tier-, Pflanzen- und Pilzarten; es gibt Exkursionen und ein Familienprogramm mit Spielen, Bastelstation und Rätselrallye. Dazu werden praktische Tipps vermittelt, um die Artenvielfalt im eigenen Garten oder auf dem Balkon zu fördern. Die Leistung der Wildbienen „ Im Wienerwald gibt es 21 Fledermausarten zu entdecken, darunter seltene Spezies wie die Mops-, die Nymphen- und die Bechsteinfledermaus. “ „Die Veranstaltung ist eine tolle Gelegenheit, um Einblicke in das Netzwerk des Lebens um uns herum zu bekommen“, sagt Franz Essl, Österreichs aktueller „Wissenschafter des Jahres“, im Gespräch mit der FURCHE. „Viele Gebiete sind im Detail noch nicht so genau untersucht. Wenn Expert(inn)en, unterstützt von sogenannten ‚Citizen Scientists‘, einen Landstrich erforschen, findet man fast immer die eine oder andere Überraschung.“ Der Ökologe der Universität Wien kennt das erhebende Gefühl aus eigener Erfahrung. Auf einer Wanderung im Waldviertel fand er ein Heidekrautgewächs, das bislang nur im Alpenraum dokumentiert war. „Diese Erika-Art blüht im Frühling auffällig schön. In der Nähe von Rapottenstein bin ich auf das einzige bislang bekannte Vorkommen nördlich der Donau gestoßen“, erzählt der Biodiversitätsforscher. Der „Tag der Artenvielfalt“ soll darauf aufmerksam machen, dass wir vielen Tieren und Pflanzen unserer Umgebung kaum Beachtung schenken. Aber selbst kleine und unscheinbare Arten erledigen eine spezielle Aufgabe im Ökosystem und tragen somit zu dessen unentbehrlichen „Leistungen“ bei. So werden in Europa rund 4000 verschiedene Gemüsesorten von Bienen bestäubt. Die gefährdeten Wildbienen erledigen diese Arbeit effizienter als Honigbienen und leisten somit einen wichtigen Beitrag, um die Erträge zu sichern. 37 Wildbienen-Arten sind in den letzten Jahrzehnten in Österreich ausgestorben; 707 Arten gibt es hierzulande noch. Man könnte auch den rund 45.000 Spinnenarten
DIE FURCHE · 22 1. Juni 2023 Wissen 19 „ Das Dominospiel wird zum Sinnbild des Artensterbens: Wackelt eine Art, geraten auch die anderen ins Wanken. Und je dünner die Basis, desto labiler das System. “ jetzt online mit dankbar sein, denn sie halten uns viele lästige Insekten vom Leib. Weltweit verschlingen sie bis zu 800 Millionen Tonnen an Beutetieren pro Jahr – das haben Forscher der Universitäten Basel und Gießen berechnet. Schon länger warnen Wissenschafter(innen) vor dem größten Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Diesmal ist das Problem hausgemacht: Die aktuelle Aussterberate liegt bis zu 100-mal höher als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre. Auch in Kärnten ist die Situation alarmierend, wie ein neuer Bericht zeigt: Knapp die Hälfte der Tiere sind dort vom Aussterben bedroht. Letzte Woche wurden die aktuellen Befunde für die Rote Liste der gefährdeten Arten präsentiert. 78 Autoren haben hier über drei Jahre einen über 1000-seitigen Bericht erstellt, aufbauend auf jahrzehntelanger wissenschaftlicher Arbeit. Besonders in Gefahr sind demnach Tierarten, die ausschließlich in Kärnten vorkommen: beispielsweise die Gefältete Schließmundschnecke, die so wie viele Laufkäfer- und Spinnenarten, nur auf der Koralm zu finden ist. Andere Tiere sind bereits verschwunden: Röhrenspinnen, Heldbockkäfer oder der Ortolan wurden schon seit Jahren nicht mehr in dem südlichen Bundesland gesichtet. Die Rolle der Flaggschiff-Arten „Die Gefährdung der Arten ist hier kein Einzelfall, sondern ein über alle Lebensräume verbreitetes Phänomen“, so Essl. „Für Kärnten ist dieses Ergebnis allerdings besonders drastisch, denn das Bundesland hat einen relativ hohen Gebirgsanteil mit viel unberührter Natur. Da wäre eigentlich eine bessere Situation zu erwarten.“ Für Österreichs Wissenschafter des Jahres ist der drohende Artenverlust ein klares Signal, „dass wir dabei sind, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören“. Im Gegensatz zur Klimakrise ist die Biodiversitätskrise jedoch noch wenig im öffentlichen Bewusstsein präsent. Deshalb sind Rote Listen wichtig, um Aufmerksamkeit für den Ernstfall der Lage zu schaffen. Eine Million Arten könnten in den nächsten Jahrzehnten vom Planeten verschwinden. Die Klimakrise zählt neben der Zerstörung von Lebensräumen (z. B. durch Bodenversiegelung und intensive Landwirtschaft) oder der Übernutzung von Arten (z. B. Überfischung) zu den Haupttreibern des Verlusts an Biodiversität. „Viele Spezies gehen derzeit rasant zurück, manche breiten sich unter den neuen Bedingungen aber auch aus“, erklärt Franz Essl. Dazu zählen vor allem wärmeliebende oder eingeschleppte Arten. Dass die durch „invasive Arten“ verursachten Kosten die Schäden von Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Überschwemmungen übertreffen, hat der Forscher kürzlich in einer Studie mit internationalen Kolleg(inn)en gezeigt. Wie das Auftauchen neuer exotischer Arten durch den Klimawandel und menschliche Eingriffe begünstigt wird, ist derzeit auch im Landesmuseum Klagenfurt zu sehen: Eine Sonderausstellung widmet sich den komplexen Folgen der schwindenden biologischen Vielfalt. Zum Sinnbild wird hier das Dominospiel: Wackelt eine Art, geraten auch die anderen ins Wanken. Und je mehr die Basis ausdünnt, desto labiler wird das System. „ Der aktuelle Befund für Kärnten ist besonders drastisch, denn das Bundesland hat viel unberührte Natur. Da wäre eigentlich eine bessere Situation zu erwarten. “ Biodiversitätsforscher Franz Essl „Einzelne Spezies herauszugreifen, ist sicherlich ein guter Ansatz für den Artenschutz“, sagt Essl schmunzelnd: „Es wäre wohl wenig populär, sich um den Erhalt der Gelsen zu sorgen. Besser ist da schon der Weißstorch, ein Tier mit einem guten Image in der Bevölkerung. Man schaut, dass er reichlich mit Nahrung versorgt wird: Er ernährt sich von Fröschen und Kröten; diese wiederum brauchen gesunde Gewässer, in denen Libellen und Gelsen zu finden sind. Mit dem Storch schützt man also die Feuchtbiotope – und damit letztlich auch die Gelsen.“ Man spricht von sogenannten Flaggschiff-Arten: Von ihrem Schutz profitieren auch die anderen Spezies eines Lebensraums. Andere Beispiele für solche Flaggschiffe sind die vom World Wildlife Fund (WWF) erkorenen „Big Five“ in Österreich: Biber, Fischotter, Luchs, Wolf und Seeadler. Durch ihren Schutz wird eine Vielzahl an weniger offensichtlichen, aber genauso wichtigen Arten mit erhalten. Aber zurück zum Tag der Artenvielfalt: „Die meisten Teilnehmer werden mit Erstaunen feststellen, dass es viel mehr Spezies gibt als angenommen“, so Essl. „Das Schöne daran: Die Kenntnis schärft den Blick. Man weiß dann, was es unter den Blättern oder auf der Rinde alles zu entdecken gibt.“ Sonderausstellung zum Thema Biodiversität Kärnten.Museum, Museumsg. 2, Klagenfurt landesmuseum.ktn.gv.at; bis 8. Oktober 2023 Franz Essl ist Österreichs „Wissenschafter des Jahres 2022“. Der Ökologe ist am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Uni Wien tätig. SO HAB ICH DAS NOCH NIE GE- SEHEN. 3800 AUSGABEN DIGITALISIERT 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT 77 JAHRE ZEITGESCHICHTE Foto: APA / Florian Wieser Der Tag der Artenvielfalt in Klosterneuburg findet am 2. und 3. Juni statt. Nähere Infos zum Programm und zu den Führungsangeboten gibt es auf der Webseite des Biosphärenparks Wienerwald (www.bpww.at). VON 1945 BIS HEUTE furche.at ALLE BEITRÄGE SEIT 1945 JETZT ONLINE
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