DIE FURCHE · 22 14 Musik & Literatur 1. Juni 2023 „Orfeo ed Euridice“ in Salzburg, „Lulu” bei den Wiener Festwochen, „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Wiener Staatsoper und ein philharmonisches Ligeti-Memento. Geistvoll reflektiert und heftig verirrt Von Walter Dobner Lulu im Kampf In ihrer ersten Opernregie arbeitet die kapverdische Choreografin Marlene Monteiro Freitas mit einem Ensemble aus Sänger(inne)n, Tänzer(inne)n und Akrobat(inn)en zusammen, im Zentrum Bo Skovhus (Dr. Schön) und Vera-Lotte Boecker (Lulu). „ Dass nur wenige Requisiten genügen, um die wesentlichen Orte der Handlung zu imaginieren, zeigt die kluge Inszenierung von ‚Lady Macbeth von Mzensk‘. “ Gleich dreimal stand Cecilia Bartoli in Salzburg im Fokus: als Intendantin, Gestalterin der Hauptpartie sowie als Mittelpunkt einer Ehrung. Denn im Anschluss an die Premiere von Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“ überreichte Staatssekretärin Andrea Mayer der an diesem Abend im Kleinen Festspielhaus Vielumjubelten die Urkunde der Ernennung zur Österreichischen Kammersängerin. Eine gute Gelegenheit, auch für das Salzburger Festspieldirektorium, Bartoli für ihre seit 2012 währende Tätigkeit als höchst erfolgreiche Impresaria dieses Pfingstfestivals coram publico zu danken. Für die diesjährigen Pfingstfestspiele hatte sich der Mezzo-Star das Thema Orfeo ausgesucht. Damit ergab sich die Wahl des Eröffnungsstücks quasi von selbst. Noch dazu, wo diese bedeutende Gluck-Oper in einer ihrer vier Versionen ‒ der Parma-Fassung ‒ die Partie des Orfeo derart ins Zentrum rückt, dass die anderen Protagonisten zu Nebenfiguren verblassen. Umso mehr konnte Bartoli mit ihrer Bühnenpersönlichkeit prunken und ließ dank ihrer unmissverständlichen Gestik und vokalen Artistik das Geschehen mehr als bloß erahnen. Ein Glück, denn Handlung im eigentlichen Sinn besitzt diese in Salzburg um Szenen der Wiener und Pariser Fassung auf eineinhalb Stunden geweitete Neuproduktion kaum. Am besten, man kaschiert dieses Manko durch auf viel Tempo und mannigfach Ausdruck setzende Ballettszenen. So Regisseur Christof Loy. Für dessen unterschiedlich eindringliche Choreografie hatte Johannes Leiacker einen dem Karl Böhm-Saal der Felsenreitschule nachempfundenden tempelartigen Einheitsbühnenraum geschaffen. Gianluca Capuano führte Les Musiciens du Prince ‒Monaco und Il Canto di Orfeo mit zündendem Elan durch Glucks Partitur. Mélissa Petit und Madison Nonoa erwiesen sich als noble Gestalterinnen von Euridice und Amore. Verworrene Lesart Loy scherte sich in Salzburg zwar wenig um Personenführung. Umso intensiver tauchte er in die mannigfachen Stimmungskurven dieses Gluck ein. Marlene Monteiro Freitas, die Regisseurin der Wiener Festwochen-Produktion von Alban Bergs „Lulu“ im MuseumsQuartier, zeigte sich nicht einmal am spezifisch Atmosphärischen des von ihr inszenierten Stücks interessiert. Für sie scheint diese in seiner zweiaktigen Version (samt Teilen der „Lulu“-Suite) präsentierte, von ihr choreografisch unmäßig aufgemotzte Oper kaum mehr zu sein als eine Projektionsfläche für krude Männerfantasien, ein Spielball für Ideen, die jeder für sich beliebig interpretieren darf. Wollte sie sich mit ihrer verworrenen Lesart jeder reflexiven Sujet-Auseinandersetzung vorweg entziehen? Foto: Monika Rittershaus Jedenfalls: Die Oper wurde nicht erzählt, Personenregie suchte man vergeblich. Gestalterische Präsenz zeigten nur jene, die das bei anderen Regisseuren gelernt haben. Wie Kurt Rydl (Schigolch) oder Bo Skovhus (Dr. Schön). Sonst tummelten sich, nicht selten rätselhaft, Performer und Performerinnen auf der mit Sesseln, Bänken, Pulten, Satteln, selbst einem Haberkornhut (!) bestückten Bühne. Die Geschwitz, mit Anne Sofie Otter prominent besetzt, wenn auch vokal enttäuschend, wirkte beinahe wie eine unerwünschte Nebensächlichkeit. Dass man das Orchester (exzellent das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter dem umsichtigen Maxime Pascal) hinten auf der Bühne, noch dazu erhöht, platziert hatte, machte es dem von der lautstarken Vera-Lotte Boecker als etwas unterkühlter Lulu dominierten, unterschiedlich qualitätvollen Sängerensemble alles andere als leicht. Wäre es nicht Aufgabe der Regie gewesen, sich mit den schwierigen akustischen Verhältnissen des Museums- Quartiers ernsthaft auseinanderzusetzen, ehe man sich für eine solch problematische Lösung entscheidet? Schostakowitsch-Glück und Ligeti-Memento Dass nur wenige Requisiten genügen – in diesem Fall ein auf einem harten Parkettbogen schräg platziertes Bett (Bühne: Volker Hintermeier) –, um die wesentlichen Orte der Handlung zu imaginieren, zeigt die vornehmlich auf das Schicksal der Titelheldin konzentrierte, kluge Matthias Hartmann-Inszenierung von Dimitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“. 2009 war sie in der Staatsoper erstmals zu sehen. Jetzt erlebte diese in den Hauptrollen mit Günther Groissböck als zynisch-brutalem Boris, Andrei Popov als prägnant zeichnendem Sinowi, Dmitry Golovnin als vokal kräftigem, miesem Weiberhelden Sergej und vor allem Elena Mikhailenko als empathisch-leuchtkräftiger Katerina neu wie glänzend besetzte Produktion eine heftig akklamierte Wiederaufnahme. Nicht zuletzt ein Verdienst des die emotionale Dramatik dieses Vierakters höchst impulsiv herausarbeitenden Dirigenten Alexander Soddy, der das Orchester zu einer glanzvollen Leistung führte. Wenigstens das Wiener Konzerthaus erinnerte an den dieser Tage zu begehenden 100. Geburtstag von György Ligeti: Mit einer subtil-differenzierten Wiedergabe seines Klassikers „Atmosphères“ durch die Wiener Philharmoniker unter Philippe Jordan, die sich anschließend ebenso souverän dem Sibelius-Violinkonzert (Solistin: Lisa Batiashvili) und brillant Schumanns Zweiter widmeten. Lulu Wr. Festwochen, MQ, Halle E, 2., 4., 6.6. Lady Macbeth von Mzensk Wiener Staatsoper, 3., 8., 12.6. GANZ DICHT VON SEMIER INSAYIF Sprühender Sprachrausch & poetische Leuchtfeuer Gerald Nigl streift nicht nur, sondern „durchbohrt“ gleichsam poetisch den Reichtum seiner Themen. Diese führen von intensivstem Liebesgeflüster über die Natur zur kritischen Hinterfragung von Heimat, Dorf und Kirche. Darin werden ganz unmissverständlich autoritäre Strukturen, Gewalt und Kindesmissbrauch aufgezeigt und angesprochen. Da heißt es zum Beispiel: „Kopf empor, Hals:Überstreckung / der Sinne eines frisch- Fleisch:Lebens / Schwur und Eidschwur auf die Macht“. Einige Gedichte sind bestimmten Menschen zugeeignet wie Adolf Holl, Werner Herbst oder der Malerin und Zeichnerin Linde Waber. Andere thematisieren die Sprache selbst: „Ich bin ein Wort nur unter Wörtern“ lautet ein Gedichttitel, der auch als erste Verszeile fungiert. Die Sprache scheint immer auch Hauptthema zu sein. Markante Wortneuschöpfungen, grammatikalische Umstellungen und akzentuierte klangliche Strukturen sind erkennbar in den 65 Gedichten, die in 5 Kapiteln ihre Wirkung entfalten. Ein sehr konkretes, sprachmaterialhaftes lyrisches Unterfangen, welches sich schon im Titel seines Buches konstituiert: „Hinterm Sprüh:Nebel spröder Wolke Herkunft“ ist gleichzeitig die erste Verszeile des ersten Gedichtes, das sich folgendermaßen fortsetzt: „Unterschlupf gefunden, dort an der weichen großen / weißen Schleier:Wechte im Schlieren:Wand-Schlund / verschwunden sein […]“. Alliterationskaskaden, End- wie Binnenreime und Assonanzen lassen unmittelbar in ein rauschhaftes Lesen und Lauschen eintauchen. „Sektorenfeuer“ lautet der Titel eines Manuskriptes von Sarah Rinderer. Es sind Gedichte aus einem Zyklus, der eine persönliche Hommage an bestimmte Orte in Island darstellt. „Sektorenfeuer“ werden Leuchtfeuer in der Seefahrt genannt, mittels denen Fahrwasser in verschiedenen Farben markiert werden. Die Faszination dieses Verfahrens erfährt bei der Dichterin eine poetische Transformation. So bestehen die Titel der Gedichte aus Farben und Gradangaben, zum Beispiel „(grün | 25° – 67°)“ und weiter: „fluoreszierende streifen / kursive handschrift der gräser im wind / die wieder und wieder / die neuen buchstaben übt“. Was für eindringliche Bilder einer leuchtenden Handschrift, die mitten in die Verzauberung von Begreifbarem und Unfassbarem führt. Die Verbindung von Natur und Sprache wird nicht nur sichtbar, sondern auch hör- und spürbar. Und diese Spuren werden zu lesbaren Zeichen, flirrend erzeugt durch einen poetischen Anthropomorphismus. In einem Gedicht mit dem Titel „(rot | 217° – 281°)“ heißt es: „endalaust / ich bin besessen von muschelfragmenten /[…] / […] /[…] / vom ankommen meiner fußsohlen auf vulkansand, […] / vom lack des laternenhauses/ [...] / […] / vom dieeigenen-ränder-gegen-den-wind-lehnen“. Motivische Geflechte, klangliche Komposition und rhetorische Figuren wie etwa die Anapher, sind sprachliche Mittel, die behutsam eine feine lyrische Präsenz generieren. Die variierende Setzung der Verszeilen verstärkt zusätzlich die Wahrnehmung der Gedichte als skulpturale Objekte. „ganz dicht“ stellt jeweils vor einem Dicht-Fest in der Alten Schmiede Lyrik vor (nächstes: 15.6.2023, alte-schmiede.at). Hinterm Sprüh:Nebel spröder Wolke Herkunft Gedichte von Gerald Nigl edition nikra 2021 74 S., kart., € 12,–
DIE FURCHE · 22 1. Juni 2023 Literatur 15 Am 5. Juni 1923 wurde die Schriftstellerin Gertrude Rakovsky geboren. Ihr Neffe erforschte mithilfe persönlicher Dokumente das Leben seiner Tante. Es war geprägt von der Verfolgung im Dritten Reich und den seelischen und familiären Problemen, die daraus folgten. Den Hass verwandeln Von Manfred Mohl Gertrude Rakovsky, meine „Tante Trude“, war Schriftstellerin. Für den Rest der Familie war Schriftstellerin kein Beruf, was unweigerlich zu größeren Konflikten führte. Sie wurde am 5. Juni 1923 in Wien als Tochter einer katholischen Wienerin und eines jüdischen Slowaken, dessen Familie in Wien lebte, geboren. Die Volksschule besuchte Trude allerdings in Petržalka, wo die Eltern mit den zwei Töchtern seit 1930 wohnten. 1934 trennten sich die Eltern, die Mutter zog mit den beiden Mädchen zur ihrer Schwester nach Wien. Trude litt sehr unter der Trennung vom Vater und hatte später offenbar den Verdacht, dass die Familie „den Juden“ gern losgeworden ist. Nach Nazi-Diktion waren Trude und ihre Schwester „Mischlinge 1. Grades“. Während des Krieges übernahm Trude Verantwortung für die Familie und erreichte, dass sie und ihre Schwester den Judenstern nicht tragen mussten, da sie herausfand, dass slowakische Staatsbürger dazu nicht verpflichtet waren. Dadurch konnte sie als „Büroanlernling“ in einer Baufirma arbeiten, wo sie auch für das Erstellen technischer Zeichnungen eingeschult wurde. Schweigen über das Geschehene Die Kriegsereignisse, die dauernde Angst vor Verfolgung und die Zurücksetzungen, die sie trotz Übertritts zum katholischen Glauben im Jahr 1939 aufgrund ihrer jüdischen Abstammung durch die Umgebung erlitten hatte, bereiteten ihr später intensive seelische Probleme. Nach dem Krieg arbeitete Trude als angelernte Röntgenassistentin. Als dann nur mehr diplomierte Fachkräfte diese Arbeit manchen durften, verlor sie diesen Job und wurde in die Portierloge versetzt. Die Reaktion der Familie demütigte sie noch mehr: „Macht ja nix, bleibst halt in der Portierloge sitzen, Hauptsachʼ du kriegst amal a Pension!“ In einer Umgebung, die über das Geschehene nicht reden und nicht nachdenken wollte, fiel es Trude extrem schwer, ihren Weg zwischen Judentum und Christentum, zwischen Literatur und Brotberuf zu finden. Ihrer Mutter warf Trude offenbar vor, dass sie durch die Trennung und spätere Scheidung den Vater in der Nazizeit wissentlich ans Messer geliefert hätte. 1961 schreibt sie in einem Brief an ihre Mutter: „Was immer er ‚angestellt‘ haben mag, niemand auf der Welt ist berechtigt, einen Menschen auf Lebenszeiten zu verdammen. Du hast in mir immer den Papa gesehen, deshalb war ich in der Familie mit meinem ‚kunstbegeisterten‘ und ‚lyrischen‘, sprich sensiblen Gemüt immer allein.“ 1953 wanderte sie nach Kanada aus. In Montreal fand sie rasch Zugang zu einem Kreis liberaler, jüdischer Emigranten und lernte dort erstmals jüdische Lebenskultur kennen. Sie arbeitete als technische Zeichnerin und verdiente relativ gut. In der Familie sah man in Trude jetzt die reiche Dame aus Amerika und erwartete von ihr auch finanzielle Unterstützung. Dann erreichte sie eine Karte ihres lang vermissten Vaters aus Košice. Sie schreibt selbst, dass er noch 1945 in Wien gesehen worden wäre, also die Kriegswirren und den Holocaust überlebt hatte. Damals hatte er sich in einem Brief nach seiner Familie erkundigt. Also hatten alle gewusst, was ihm zugestoßen war, und die Geschichte, die ich mehrmals erzählt bekommen habe, dass er auf einem Landgut in der Slowakei überlebt hätte, war eindeutig gelogen: das „Landgut“ war das Konzentrationslager Nováky, aber das erfuhr ich erst aus Trudes Nachlass. Foto: Wiener Literaturhaus Sie antwortete sofort, entschloss sich nach Österreich zurückzukehren und nahm Kontakt zum Vater auf. Das musste sie lange verheimlichen, um nicht sofort durch ihre Familie „von der Tür gewiesen zu werden“. Trotz aller Widrigkeiten gelang es ihr, mehrmals zum Vater zu reisen, von dem sie viel über seine Leiden in Nováky erfuhr, wodurch sie in tiefe Depressionen verfiel. 1961 setzte Trude endlich ihre Verwandten von ihren Besuchen beim Vater in Kenntnis und schrieb an ihre Mutter: „Zu deiner Information will ich dir noch mitteilen, dass der Papa der einzig Überlebende ist; er war auch 3 Jahre nach vielen Verstecken im KZ. Alle anderen RAKOVSKY’s (51) wurden vergast.“ Foto: Wiener Stadt- und Landesarchiv Aus dem Gau- Sippenamt, Wiener Stadt- und Landesarchiv; die rot gefärbten Symbole zeigen die jüdischen Großeltern an. Depressionen und Auswanderung Trudes Depressionen wurden so stark, dass sie zweimal in die Psychiatrie „Am Steinhof“ eingewiesen wurde. Danach wollte sie nach Israel auswandern, 1961 lebte sie tatsächlich einige Monate in einem Kibbuz. Später erhielt Trude eine kleine Berufsunfähigkeitsrente. Diese Pension betrachtete sie wohl als Subvention ihrer literarischen Arbeit. Sie schreibt, dass sie nun einen anerkannten Beruf hätte. In den Jahren 1963 und 1967 erhielt sie außerdem Literatur-Förderungspreise der Stadt Wien und konnte den Gedichtband „Das Mondschiff“ veröffentlichen. Seit ihrer Firmung hatte Trude sich intensiver mit der katholischen Glaubenslehre zu beschäftigen begonnen. In diese Zeit fällt auch die Abfassung vieler Gedichte über Heilige, einige davon wurden nach ihren eigenen Angaben in der FURCHE veröffentlicht, wofür sie auch Honorare erhielt. Dann hörte sie eine Predigt des Dominikaners Diego Hanns Goetz und war begeistert. Sie entschloss sich zum Eintritt in ein Dominikanerinnen-Kloster, obwohl sie angeblich gewarnt worden war, dass sie als Halbjüdin dort nicht willkommen wäre. Auch anderswo spürte sie den allgegenwärtigen Antisemitismus. Sie schreibt, was sie hörte: „… es seien immer noch zu wenige Juden vergast worden, oder: ‚Es san ja eh scho alle wieder da!‘ Es wird verniedlicht, heruntergemacht, der Wert der Persönlichkeit nicht an- sondern aberkannt. ‚Du bist im Weg!‘, sagte man mir, oder: ‚Geh aus dem Weg!‘ rief man. Oder: ‚Du bist zu gross, Du musst kleiner werden!‘“ Nach dem Tod des Vaters 1969 reiste Trude sehr viel. Im Briefwechsel mit ihrer Mutter und Schwester findet sich aus den Jahren 1971 bis 1980 Post aus mehreren Ländern. 1978 fasst Trude alle erdenklichen Vorwürfe in einem Wutbrief an die Am 22.4.1965 veröffentlichte sie ein Gedicht, das ihren Wunsch, nach Israel auszuwandern, andeutet: „Gertrud Rakovsky: Begegnung“, furche.at „ Also hatten alle gewusst, was ihm zugestoßen war: das ‚Landgut‘ war das Konzentrationslager Nováky, aber das erfuhr ich erst aus Trudes Nachlass. “ Mutter zusammen: „Liebe Mutti – das bist Du im vollen Wortsinn zwar Jahrzehnte schon nicht mehr …“ Bald nach dem Tod der Mutter 1980 kam es aufgrund einer Verleumdung durch Trude zum endgültigen Bruch mit der Schwester. Auch ich hatte aus Rücksicht auf meine Mutter keinen Kontakt mehr zu meiner Tante. Die Dokumente im Nachlass reichen bis 1988. Was zwischen 1988 und ihrem Tod am 2. Mai 2002 passiert ist, weiß ich nicht. Ich fürchte, dass es ihr, wenn sie nichts mehr geschrieben hat, nicht gut ging. Im Nachlass fand ich unter anderem einen mehrteiligen „kulturgeschichtlichen Roman“ über die Brüder Rudolf und Franz von Alt, einen Text über Luise Rinser, viele autobiografische Schriften und Briefwechsel mit Bundespräsident Kirchschläger und den Schriftsteller(inne)n Gertrud Fussenegger, Hans Weigel, Heinrich Böll, Christine Lavant, Franz Karl Ginzkey, Franz Theodor Csokor, Friedrich Heer, Alexander Lernet-Holenia und Christine Busta, von der sie als einzige nicht „Trude“ sondern „Gerti“ genannt wurde. Ihre Lebensaufgabe umschreibt sie mit diesem Gedicht: DEN HASS meiner Mutter muß ich verwandeln mit Hilfe der Liebe meines mißhandelten Vaters Den Haß der Familie muß ich verwandeln mit Hilfe des Opfers meiner gemordeten Großeltern Den Haß der Menschen muß ich verwandeln mit Hilfe des Trösters Heiliger Geist Den Haß der Kirche muß ich verwandeln mit Hilfe der Liebe des Juden Jesu Gertrude Rakovsky Geboren am 5. Juni 1923 in Wien, starb sie am 2. Mai 2002 ebendort. Das Foto zeigt die Schriftstellerin um das Jahr 1970 an ihrer alten Schreibmaschine. Aus dem Vorlass im Wiener Literaturhaus. Der Autor ist Historiker und war Lehrer an einem Wiener Gymnasium.
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