DIE FURCHE · 5 24 Theater 1. Februar 2024 Von Christine Ehardt Das Volkstheater zeigt mit Alexander Giesches Inszenierung von „Die Angestellten“ ein licht- und soundgewaltiges Bildertheater über Mensch und Arbeit im 22. Jahrhundert. Der Titel führt in die Irre: „Die Angestellten“ ist keine Auseinandersetzung aktueller arbeitspolitischer Reizthemen, auch ein Naheverhältnis zu Siegfried Kracauers gleichnamigen Untersuchungen aus dem Jahr 1930 ist höchstens formal erkennbar, und kapitalismuskritische Töne sind im 2018 veröffentlichten Science-Fiction-Roman der dänischen Autorin Olga Ravn kaum vorhanden. In der deutschsprachigen Erstaufführung kreiert Regisseur Alexander Giesche daraus vielmehr ein „visual poem über Arbeit im 22. Jahrhundert“, das als sphärisches Licht- und Tonspektakel bedächtig auf der Bühne des Volkstheaters kreist. Was macht den Menschen aus? Zwei riesige Videoleinwände beginnen zu flimmern, darauf ist die Quit screen-Nachricht von Nintendo „Everthing not saved will be lost“ zu lesen. Die Besatzung aus Menschen und humanoiden Maschinen (Elias Eilinghoff, Frank Genser, Hasti Molavian, Lavinia Nowak, Nick Romeo Reimann, Uwe Rohbeck und Birgit Unterweger) des „Sechstausender- Raumschiffs“ schüttelt zu harten Technobeats in grellbunten Plastikoutfits ihre Glieder. Während sich einer der Bildschirme unaufhörlich und im langsamen Rhythmus zu drehen beginnt, zieht in der Mitte der Bühne eine amorphe Skulptur der österreichischen Bildhauerin Ulrike Zerzer gegengleich ihre Runden. Ein zwei Meter hoher Roboterarm filmt das Bühnengeschehen, mittels digitaler Bildbearbeitung verwandeln sich die live aufgenommenen Bilder in abstrakte Gemälde aus gleichförmig dahinfließenden Farbstrukturen. Monoton und melancholisch ist auch die Sprechweise der Schauspieler, die nacheinander ihre Berichte über die Vorkommnisse an Bord preisgeben. Menschen und Maschinen sind auf einer Forschungsreise durchs All. Man arbeitet zunächst einträchtig zusammen. Auch äußerlich sind die humanoiden Mitarbeiter nicht von ihren menschlichen Kollegen zu unterscheiden. Gemeinsam veranstalten sie Duftquiz (Wie riecht Foto: Marcel Urlaub / Volkstheater Zukunftsmusik? Geheimnisvolle Objekte werden geborgen und verändern die Mannschaft eines Raumschiffs aus menschlichen wie humanoiden Angestellten. Die Suche nach Sinn und Glück wird zentral. Völlig losgelöst Eichenmoos? Ist das Vanille?) und spielen Emoji- Memory. Das in Echtzeit abgehaltene improvisierte Spiel mit den emotionalisierten Bildschriftzeichen stellt die Geduld des Publikums bereits in der Mitte der zweieinhalbstündigen Inszenierung auf eine harte Probe, einige gehen ab hier schon frühzeitig von Bord. Nach einer Außenmission auf dem Planeten „Neuentdeckung“ beginnt das harmonische Gefüge der Arbeitsgemeinschaft auch auf der Bühne auseinanderzubrechen. Die Menschen verfallen in Depression und Nostalgie, die Maschinen entwickeln Sehnsucht nach dem Menschlichen, wollen Kekse backen, obwohl sie keine Kekse kennen, und proben schlussendlich den Aufstand. Die unvermeidliche Katastrophe bleibt nicht aus, die Zerstörung des Schiffes wird angeordnet, die wenigen Maschinen, die das überstehen, kehren auf „Neuentdeckung“ zurück und erhoffen sich einen reboot ihrer Software. Die Suche nach Glück, Radikalisierung, Ausgrenzung „ Im Zentrum steht das Eintauchen in die aus Licht, Raum und Klang erschaffenen Gefühls- und Bilderwelten, die sich mehr als Installation denn als Theaterstück begreifen lassen. “ und die spannungsgeladene Frage, was das Menschsein eigentlich ausmacht, geben in dieser bildgewaltigen Multimediashow den thematischen Rahmen vor, sind allerdings nur reine Nebensache. Im Zentrum steht vielmehr das Eintauchen in die aus Licht, Raum und Klang erschaffenen Gefühlsund Bilderwelten, die sich mehr als Installation denn als Theaterstück begreifen lassen. Theater und Technologie trafen in Alexander Giesches Arbeiten schon mehrmals als visual poems aufeinander. Zuletzt wurde seine Inszenierung von „Der Mensch erscheint im Holozän“ nach Max Frisch mit dem Nestroypreis ausgezeichnet. Bei seinem Regiedebüt in Österreich liefert der Lichtdesigner Matthias Singer die visuellen Effekte für diese immersiv-philosophische Aufführung, die alle Sinne anregt. Sich darauf einzulassen, fällt jedoch schwer, sitzt man als Zuschauer doch nur davor und ist eben nicht wie beim eingangs zitierten Computerspiel Teil des Geschehens. Als sich zum Schluss ein liquid sky als bunt schimmernder Wolkenteppich über den Zuschauerraum ergießt, kann dieses Konzept der Immersion dann aber doch noch für kurze Zeit erlebt werden. Insgesamt ein wunderschöner kontemplativer Abend, und doch bleibt am Ende die Frage: Worum ging’s eigentlich? Die Angestellten Volkstheater, 1., 10., 23., 28.2.2024 DIE FURCHE EMPFIEHLT IN KÜRZE Texte und Abgründe Toni Morrisons Erzählung „Rezitativ“ und Joseph Conrads Roman „Herz der Finsternis“: Beide lassen die Kammern der Finsternis im Inneren erforschen. Schriftstellerin Lydia Mischkulnig, FURCHE-Feuilletonchefin Brigitte Schwens-Harrant und Politikjournalistin Christa Zöchling diskutieren über Texte und Abgründe. Stichwort: Rassismus Wien Alte Schmiede, 13.2., 19 Uhr alte-schmiede.at THEATER ■ Achim Benning (1935–2024) In seiner Zeit als Burgtheater direktor (1976–1986) avancierte die Bühne „zur bestgeführten des deutschsprachigen Raums“ (Sigrid Löffler), Werke von Elias Canetti, Arthur Miller, Tennessee Williams, Ödön von Horváth, Pavel Kohout und Maxim Gorkij wurden gespielt. Die geradezu revolutionären Uraufführungen der Werke des regimekritischen Bühnenautors Václav Havel führten zu Hetzkampagnen, u. a. vonseiten der FPÖ. Benning blieb ein Leben lang unbestechlich und rückhaltlos einem Ethos des Denkens verpflichtet, das sich gegen jegliche Formen von diktatorischen und autoritären Verhältnissen richtete. Ohne Programmatiken zu verkünden, modernisierte er das Burgtheater, ab 1989 auch das Zürcher Schauspielhaus. Er sorgte für kulturelle Freiräume, in welchen verschiedene Positionen nebeneinander existieren durften. Der Essayband „In den Spiegel greifen“, der im Februar erweitert erscheint, zeigt einen Menschen, der gegen Opportunismus und Konformismus auftrat. Der Regisseur, Theaterdirektor, Schauspieler und Autor Achim Benning verstarb am 30. Jänner. (Julia Danielczyk) LITERATUR ■ Ilse Helbich (1923–2024) Geboren wurde sie am 22. Oktober 1923 in Wien. Sie studierte Germanistik, arbeitete danach publizistisch und verfasste zahlreiche Radiocollagen sowie Kolumnen. Auch in der FURCHE hat Ilse Helbich einige Texte veröffentlicht. 1989 begann sie Prosa zu schreiben. Kurz vor ihrem 100. Geburtstag erschien ihr letztes Buch „Wie das Leben so spielt“. Maria Renhardt würdigte damals die Schriftstellerin mit einem Porträt, das wie auch Helbichs Texte auf furche.at nachzulesen ist. Am 26. Jänner ist Ilse Helbich in Wien gestorben. „Ilse Helbich wird 100: ‚Sternregen auf diesen Stern‘“ von Maria Renhardt erschien am 18.10.2023, nachzulesen auf furche.at.
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