DIE FURCHE · 5 22 Wissen 1. Februar 2024 Kontaktpflege Igel sehen schlecht, reagieren aber umso stärker auf Geräusche. Es macht Sinn, mit den Tieren zu sprechen, um ihnen im Fall der Pflege die Angst zu nehmen. „Nachmittag des Igels“ Am 2. Februar findet zum Internationalen Tag des Igels eine Online-Veranstaltung von „Natur im Garten“ statt (15–18 Uhr, siehe www.natur imgarten.at) Von Bernhard Fink Der europäische Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) macht das Rennen! Bereits zum zweiten Mal wurde er von der Schutzgemeinschaft Deutsches Wild zum „Tier des Jahres“ in Deutschland gewählt. In Österreich hat der Igel diesen Titel zuletzt 2018 erhalten. Für Igel-Liebhaber ist das keine Überraschung, denn obwohl der Igel von West- und Mitteleuropa bis in die baltischen Länder sowie im Westen Russlands weit verbreitet ist, nimmt der Bestand ab. Die Bodenversiegelung und von Menschen verursachte Gefahren schränken seinen natürlichen Lebensraum ein. Die Vorstellung vom „gesäuberten“ Grünraum macht den Hausgarten als Habitat unattraktiv. Und alljährlich werden viele Tausende Igel im Straßenverkehr totgefahren. In manchen Bundesländern Deutschlands gilt deshalb bereits eine Vorwarnstufe für den Igel auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Das Projekt „Roadkill“ der Universität für Bodenkultur in Wien zählt die Hälfte aller überfahrenen Igel in Siedlungsgebieten, die Mehrzahl davon im Osten Österreichs. Laub und Reisig belassen Vielleicht war das „Natur im Garten“-Schild am Haustor besonders einladend? Die Igel im Umkreis meines Grundstücks haben schnell gelernt, dass der weitgehend naturbelassene Garten für sie viel bietet, und sind aus anderen Bereichen angesiedelt. Um ihr Überleben zu sichern, habe ich ein paar der Tiere vorübergehend auch ins Haus aufgenommen und dort so lang wie nötig versorgt. Die Gemeinde Biedermannsdorf hat an Stellen, wo die Igel besonders häufig die Straße queren, Hinweisschilder positioniert, um Hilfe für Igel Im Sommer besuchten bis zu acht Igel regelmäßig den Garten unseres Autors. Derzeit beherbergt er drei Tiere zum Winterschlaf (Videos dazu gibt es in der Onlineversion dieses Artikels auf furche.at). Aus den Gärten vertrieben, auf den Straßen getötet: Der Igel ist zunehmend bedroht. Wie man den sensiblen Tieren durch den Winter hilft. Stachelige Persönlichkeiten „ Igel zeigen Unterschiede, die man durchaus als ‚individuell‘ bezeichnen kann: ‚Mutig‘ oder ‚schüchtern‘ wurde ihr Verhalten in einer neuen Oxford-Studie beschrieben. “ Foto: Bernhard Fink die Autofahrer zur Temporeduktion anzuhalten. Auch die Nachbargemeinde Laxenburg ist bereits mitgezogen und präsentiert sich „Igel-freundlich“. So wurde mir von der Betriebsgesellschaft Schloss Laxenburg die Genehmigung zur Auswilderung im größten historischen Landschaftsgarten Österreichs gegeben. Auch in den sozialen Medien wächst die Gemeinschaft von Unterstützerinnen und Unterstützern des Igels. Sie sind gut vernetzt, geben ihre Erfahrung mit der Betreuung von hilfebedürftigen Igeln weiter und vermitteln Anlaufstellen. Zusammen mit den Hilfsstationen für Wildtiere sind sie eine wichtige Stütze für verwaiste oder kranke Tiere, die so lange versorgt werden, bis sie wieder ausgewildert werden können. Allen gemein ist die ehrenamtliche Hilfe, die durch Spenden oder „Crowdfunding“ unterstützt wird. Aber nicht jeder Igel, dem man begegnet, darf aufgenommen werden. Schließlich könnte es sich um ein Muttertier auf Nahrungssuche handeln, das man dann vom Nachwuchs entfernen würde. Die spontane Entscheidung, ob ein Igel Unterstützung benötigt, fällt nicht immer leicht. Ein Igel im ersten Lebensjahr kann bis zu 700 Gramm wiegen; ein erwachsener Igel erreicht ein Gewicht von circa einem Kilogramm und mehr. Igel benötigen die bis zum Herbst aufgenommenen Nahrungsreserven für den Winterschlaf. Dieser ist zeitlich nicht genau festgelegt, wird aber in der Regel im Frühwinter (Oktober/November) begonnen und endet im Frühling (März/April). Entscheidend sind die Signale aus der Natur. Die kürzer werdenden Tage im Herbst, ein weniger reichhaltiges Nahrungsangebot sowie sinkende Tagestemperaturen lassen die Tiere Vorbereitungen für den Winterschlaf treffen. Sie schaffen sich eine winterfeste Behausung, die Temperaturen unter fünf Grad Celsius standhält. Dort verringert der Igel seinen Stoffwechsel deutlich, sodass seine Energiereserven ausreichen, um über den Winter zu kommen. Für diesen cleveren Plan der Natur benötigt der Igel ein geeignetes Umfeld, das ihm Schutz vor der winterlichen Kälte und den Fressfeinden bietet. Laub und Reisig im Garten zu belassen ist demnach essenziell. Was aber tun mit Tieren, welche die Voraussetzungen für den Winterschlaf nicht erfüllen? Abgesehen von offensichtlichen Verletzungen ist Mangelernährung ein Kriterium für die Pflege des Tieres. Mit weniger als 500 Gramm würden dessen Energiereserven kaum für den Winterschlaf ausreichen. Die meisten Igel haben Flöhe oder Zecken und tragen auch Parasiten in den Verdauungs- und Atmungsorganen. Eine individuelle Behandlung des Igels – inklusive Baden und Entwurmung – ist nötig. Je größer die gesundheitlichen Probleme des Tieres, umso wichtiger ist die Zusammenarbeit mit fachkundigen Tiermedizinern, die bereit sind, sich der Wildtiere anzunehmen. Emotionale Bindung Durch die Obsorge entsteht eine emotionale Bindung zwischen Mensch und Tier: Wer Energie darauf verwendet, einen Igel „fit“ zu machen, dem fällt es nicht leicht, ihn wieder in die Natur zu entlassen. Hinzu kommt die individuelle Variation im Verhalten der Tiere. Man kennt die für den Igel typische Reaktion auf Gefahren, bei der sich das Tier kugelförmig einrollt und mit seinen Tausenden von Stacheln eine wirksame Abwehr gegenüber größeren Vogelarten und Raubtieren wie Füchsen und Marder bildet. Die Beobachtung bei der Pflege von Igeln zeigt aber weitere Unterschiede, die man durchaus als „individuell“ bezeichnen kann: „Mutig“ oder „schüchtern“ wurde ihr Verhalten bei der Begegnung mit einem Mähroboter in einer Studie von Sophie Rasmussen an der englischen Oxford-Universität kürzlich beschrieben. Dieses Verhalten ist unabhängig von Alter und Geschlecht; und das der mutigen Tiere war weniger gut vorhersagbar. Igel sind demnach sensible Wesen, die schlecht sehen, aber umso mehr auf Gerüche und Geräusche reagieren. Auch auf die menschliche Stimme. Bei bekannten Geräuschen ist der Igel nach kurzer Zeit weniger ängstlich. Dies kann man sich bei wiederkehrenden Routinen wie dem Wiegen zunutze machen, indem man mit dem Igel spricht. Kommt es zu Veränderungen in der Routine, ist das eine Herausforderung für das Tier. Nicht einmal kam es vor, dass ich in der darauffolgenden Nacht „gesucht“ wurde. Ein Igel zeigt an, wenn er unzufrieden ist. Wilde Tiere Die Persönlichkeit von Tieren ist ein brandaktuelles Thema in den Verhaltenswissenschaften. Einige Wissenschafter sind sich sicher, dass in zahlreichen Tierarten die Individuen bestimmte Eigenschaften wiederholt zeigen – und sich dabei von anderen Individuen in deren Ausprägung unterscheiden. Das ist eine Voraussetzung für die Annahme von Persönlichkeitsunterschieden. So wie sich die Erfassung der menschlichen Persönlichkeit als komplex erweist, ist bei Tieren besondere Sorgfalt geboten, da diese natürlich nicht befragt werden können. Und über die Persönlichkeit des Igels ist bislang kaum etwas bekannt. Vor allem Langzeitstudien fehlen. Es braucht Forscher wie den britischen Zoologen Pat Morris, der 50 Jahre seines Lebens dem Studium des Igels gewidmet und das einzig wirkliche Fachbuch („Hedgehogs“, 2018) dazu verfasst hat. Die zunehmende Vertreibung der Tiere aus den Hausgärten und deren häufige Tötungen im Straßenverkehr sind ein Warnsignal. Wenn der Igel keine Nahrung mehr findet, mangelt es im Ökosystem auch an den Käfern, Raupen, Würmern und anderen Insekten, die einen Hauptteil seiner Nahrung bilden. Es ist großartig, dass sich bereits viele Menschen für den Igel einsetzen. Auf kommunaler und regionaler Ebene muss aber noch mehr geschehen, um die vielen öffentlichen und privaten Grünflächen als Lebensraum für den Igel zu sichern. Wenn das gelingt, profitieren auch das Ökosystem und alle Organismen, die darauf angewiesen sind – am Ende auch der Mensch. Der Autor ist Biologe mit einem Forschungsschwerpunkt auf der Verhaltensbiologie des Menschen und lebt im Bezirk Mödling.
DIE FURCHE · 5 1. Februar 2024 Chancen 23 Ein Drittel der Österreicher leidet unter chronischen Schlafstörungen. Das neue Buch der Medizinerin Birgit Högl räumt mit Mythen auf und zeigt, wie man ein gutes Verhältnis zum Schlaf entwickeln kann. Die Stunde der Wölfe Von Manuela Tomic Mozart ging um Mitternacht ins Bett und wachte um sechs Uhr morgens auf, um neue Musik zu komponieren. Leonardo da Vinci schlief alle vier Stunden 20 Minuten. Marie Curie legte Wert auf eine lange Schlafphase, und Stephen King muss, um überhaupt schlafen zu können, die offenen Seiten seiner Kopfkissenbezüge alle in dieselbe Richtung legen. Egal, welche Schlafgewohnheiten man hat: Dass guter Schlaf gesund macht, ist längst bekannt. Wie eine Studie aus dem Herbst 2023 zeigt, senkt ein langer Schlaf sogar das Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt deutlich. Laut einer Studie des Schweizer Kantonsspitals Lausanne haben Personen mit optimalem Schlaf ein um 63 Prozent geringeres Risiko für solche Erkrankungen als Personen mit Schlafstörungen. Die Forschenden beobachteten für die Studie über 15.000 Personen aus Frankreich und der Schweiz bis zu zehn Jahre lang. Für Menschen mit Schlafstörungen sind diese Daten noch beunruhigender, und die Negativspirale dreht sich weiter. Der Schlaf ist wie verhext. Konzentriert man sich beim Einschlafen darauf, endlich tief und fest zu schlafen, gelingt dies nur selten. Quer durch alle Altersgruppen leiden 25 bis 30 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher unter Schlafstörungen, wobei Frauen häufiger betroffen sind. Bei den unter 30-Jährigen ist etwa jede dritte Frau betroffen, im Alter über 60 sind es mehr als zwei Drittel. „Beunruhigend ist die Tatsache, dass als Grund für den schlechten Schlaf meist Stress am Arbeitsplatz genannt wird“, sagte der Salzburger Schlafforscher Manuel Schabus im Gespräch mit der APA im März 2023. Bei vielen schlägt sich auch die Kindererziehung auf den Schlafrhythmus nieder. Das neue Buch von Birgit Högl, Neurologin an der Universitätsklinik in Innsbruck, „Besser schlafen“ (Brandstätter Verlag), widmet sich genau diesem Thema. Sie beschreibt, womit sich die noch relativ junge Schlafforschung beschäftigt, erklärt die Funktionen des Schlafs und zeigt auf, dass Schlaflosigkeit viele Gründe haben kann. Die ganze Palette der schlafmedizinischen Erkrankungen und Störungen ist in der Internationalen Klassifikation für Schlafstörungen ( ICSD) zusammengefasst, die seit ihrem ersten Erscheinen 1990 regelmäßig überarbeitet und upgedatet wird. Die insgesamt mehr als 90 schlafmedizinischen Erkrankungen, die darin erfasst sind, lassen sich in sechs Gruppen einteilen: von der „ Bei einer chronischen Insomnie wird die kognitive Verhaltenstherapie bevorzugt. Schlaftabletten sind nicht die erste Behandlungsoption. “ klassischen Insomnie über das Schlafwandeln bis hin zu Störungen der Atmung oder Bewegungsstörungen. Aber auch die Forschung revidiert sich laufend selbst: So sind Forscher der Universität Basel kürzlich zu dem Schluss gekommen, dass Menschen gleich gut schlafen, egal, ob sie abends gelbem oder blauem Licht ausgesetzt wurden. Das dürfte jene, die das Smartphone mit ins Bett nehmen, besonders freuen. Die im Fachmagazin Nature Human Behaviour veröffentlichte Studie zeigt aber auch, wie viel die Schlafforschung noch zu lernen hat. Es gibt aber eine ganz bestimmte Stunde, die Menschen besonders sorgt. Es ist die Zeit zwischen drei und vier Uhr nachts. Man wird wach, und die Gedanken beginnen zu kreisen. Der Begriff „Wolfsstunde“ stammt aus dem Altertum und stammt daher, dass in der düsteren Zeitspanne zwischen Nacht und Tag in der Regel nur noch Wölfe umherstreiften. „Schuld an dem vorzeitigen Erwachen ist manchmal einfach die Biologie, denn man hat Foto: Getty Images / Heritage Images einen Teil der Schlafschuld schon ‚abgeschlafen‘ und der Schlafdruck ist nicht mehr so hoch“, schreibt Högl. Wenn man dann aufgewacht ist, kommen diese kreisenden Gedanken, die viele Menschen nachts mehr oder weniger häufig erleben. Dann plagen einen Zukunftsängste, Sorgen vor Krankheiten oder Konflikte, die wir am Tag zuvor erlebt haben. Viele erinnern sich dann auch an große Erledigungen, die ihnen noch bevorstehen. Wenn man nachts nicht einschlafen kann und sich die Gedanken im Kreis drehen, ist oft das Stresshormon Cortisol im Spiel. Es wird bei gestressten Menschen auch nachts ausgeschüttet. „Wer zur Wolfsstunde nur manchmal wachliegt, kann zumindest versuchen, sie umzudeuten“, schreibt Högl. Seit Stift und Papier Wer nachts nicht schlafen kann und kreisende Gedanken hat, sollte aufstehen und zu Stift und Papier greifen, so die Schlafexpertin Högl. Nach dem Aufschreiben schläft es sich besser. Lesen Sie dazu auch den Artikel „Die ganz andere Verschmutzung“ über künstliches Licht von FURCHE- Wissen-Redakteur Martin Tauss vom 11.12.2019 auf furche.at. Jahrzehnten empfiehlt die Schlafmedizin, Block und Stift neben das Bett zu legen. Oft schläft man nach dem Aufschreiben viel besser, das ist sogar wissenschaftlich belegt. Allerdings sollte man dabei nicht das grelle Licht anschalten, sondern die Geistesblitze der Wolfsstunde lieber im Dämmerlicht, im sanften Schein einer Nachttischlampe oder mit einem beleuchteten Kugelschreiber festhalten. Oft kommen uns zu dieser nächtlichen Stunde sogar ganz gute Ideen. Apropos Stress: Wer eine vorübergehende Schlafstörung hat, greift schnell und gerne zu einer Schlaftablette. Was passiert aber, wenn tatsächlich eine schlafmedizinische Krankheit diagnostiziert wurde? Auch wenn manche Betroffene zunächst lieber eine Wunderpille hätten, in der Hoffnung, dass sich damit das Leiden unverzüglich beheben lässt: „Medikamente sind meist nicht die erste Behandlungsoption“, schreibt Högl. Bei einer chronischen Insomnie zum Beispiel, hinter der keine anderweitig zu behandelnde Ursache steckt, wird die kognitive Verhaltenstherapie bevorzugt, erklärt die Wissenschafterin. Also doch das Licht dämpfen und das Handy vor dem Schlafengehen weglegen? Der Schlüssel liegt in der „Schlafpflege“, schreibt Högl. Positive Haltung entwickeln Grundsätzlich nicht schaden kann eine positive Haltung zu unserem Schlaf: „Selbst wenn wir einmal nicht so gut schlafen oder das Gefühl haben, über längere Strecken hinweg wach zu sein, kann es im Bett gemütlich und erholsam sein.“ Wichtig sei es, jeden Tag möglichst zur selben Zeit aufzustehen. Dafür ist es hingegen nicht so wesentlich, wann man schlafen geht, so die Expertin. Das Aufstehen zur selben Zeit erhöhe den Schlafdruck am nächsten Tag, und das sei gesund für den Körper. Auch schläft es sich in kühleren Räumen besser als in zu warmen. Die Schlafumgebung sollte ruhig sein – sehr ruhig. Högl rät, auch in einem anderen Zimmer zu schlafen, wenn der Partner oder die Partnerin schnarcht. Durch den Dauerlärm in der Nacht wird unser Körper immer wieder zurück in den oberflächlichen Schlaf geholt und kommt dadurch nie in die Tiefschlafphase. Mit diesen kleinen Tipps kann es jedenfalls gelingen, vorübergehende Schlafstörungen zu mindern. Wer jedoch an Insomnie leidet, sollte im besten Falle ein Schlaflabor aufsuchen. Die gute Nachricht: Die Schlafforschung hält mittlerweile sehr viele gute Therapien parat. Besser schlafen Wie erholsamer Schlaf Gehirn und Körper fit hält und uns länger und gesünder leben lässt Von Birgit Högl Brandstätter Verlag 2023 184 S., geb., € 25,– Von Manuela Tomic MOZAIK Tintenkiller Im Deutschunterricht kitzelte mich der Tintenkiller. Wenn der strenge Herr Lehrer Z. im monotonen Marschton die Geschichte vom „Glücklichen Schwein“ diktierte, fing meine Füllfeder an zu zittern. Herr Z. behauptete, ich werde es nie aufs Gymnasium schaffen. Um mich zu beweisen, musste ich beim Diktat schweinisch aufpassen oder einfach nur Schwein haben. Die Linien im Heft verwandelten sich in wackelige Hängebrücken. Das kleine g und das kleine j verhakten sich tollpatschig in den Seilen und glotzten in den Abgrund. Das große D kam nicht mehr vorbei und kugelte auf den Bauch. Ich redete ihnen gut zu, während die Buchstabenschlange anschwoll. Erst die Angst vor dem Tintentod löste den Stau und machte meine verkrampften Finger wieder lebendig. In der Nacht träumte ich, wie sich die riesige rote Schlinge des F am Korrekturrand um mein Schülerhälschen zuzog. Am nächsten Morgen warf mir Herr Z. das Diktatheft um die Ohren. Er hatte das „Glückliche Schwein“ mit seinem Rotstift von A bis Z geschlachtet. Heute ist der Tintenkiller tot, er starb gemeinsam mit der Füllfeder den Liebestod. Die Angst vor ihm lebt aber weiter. Meine Buchstaben bibbern immer noch. Sonst würde ich nicht so panisch in die Tasten tippen. Was Herr Z. heute grunzen würde? „Befriedigend, setzen!“ FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Illu: RM
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