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DIE FURCHE 01.02.2024

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DIE FURCHE · 5 20 Film 1. Februar 2024 KURZKRITIKEN An der Grenze In der Bildersprache, in den Gesichtern, die „Green Border“ zeigt, ist der Film kaum erträglich, düsteres Licht und dokumentarisches Schwarzweiß tun ein Übriges. „E.T.“ für ältere Semester So verlockend das kleinstädtische Dasein im Grünen bisweilen erscheint, für Menschen in vorgerücktem Alter bietet es Strapazen. Milton und mit ihm die älteren Damen Sandy und Joyce machen bei den Sitzungen des Stadtrats auf ihre Probleme aufmerksam, aber vergeblich. Da crasht bedrohlich in Miltons Garten auch noch ein UFO mit einem Alien. Doch das freundliche Wesen lässt sich die Funktion einer Art Psychotherapeuten andienen. Mit „A Great Place to Call Home“ hat Regisseur Marc Turtletaub Steven Spielbergs „E.T.“ in ein berührendes, lebensbejahendes Science- Fiction-Märchen für Erwachsene transformiert. Es unterhält, ist komisch und traurig, besticht durch Weisheit und ein glänzendes Schauspielerquartett. Bereitwillig folgt man den immer neuen Wendungen, die sich leichtfüßig mit existenziellen Themen befassen. Wie geht man mit dem Fremden um? Wie bewältigt man Demenz, wie die Angst vor Abschied und Tod? Dafür entfaltet der Film ein tröstliches Sinnbild. (Heidi Strobel) A Great Place to Call Home (Jules) USA 2023. Regie: Marc Turtletaub. Mit Ben Kingsley, Harriet Sansom Harris, Jane Curtin, Jade Quon. Panda. 87 Min. Treffsicheres Feelgood-Movie Als Teenager waren Magalie und Blandine Freundinnen, haben sich dann aber aus den Augen verloren. Als sie sich 30 Jahre später wiederbegegnen, werden rasch die Unterschiede zwischen der extrovertierten Magalie und der steifen Spaßbremse Blandine sichtbar, dennoch brechen sie gemeinsam zu einer Reise zu den griechischen Inseln auf. Gegensätzliche Charaktere sind das Treibmittel vieler Komödien, auch Marc Fitoussi setzt darauf. In nahen Einstellungen lässt er seinen beiden blendend harmonierenden Hauptdarstellerinnen Laure Calamy und Olivia Côte viel Raum, die Unterschiedlichkeit herauszuarbeiten. Statt eine stringente Handlung zu entwickeln, reiht der Franzose dabei im Stil eines Roadmovies Szenen aneinander, in denen er mit azurblauem Meer, wolkenlosem Himmel und weiß gekalkten Häusern Griechenland-Feeling beschwört. Vorhersehbar ist, dass in diesem Ambiente auch Blandine wieder Lebensfreude findet und aufblüht, aber auch nachdenklichere Töne fehlen in diesem Feelgood-Movie nicht. (Walter Gasperi) Reif für die Insel (Les Cyclades) F 2022. Regie: Marc Fitoussi. Mit Olivia Côte, Laure Calamy, Kristin Scott Thomas. Filmladen. 110 Min. Von Otto Friedrich Im vergangenen Herbst gehörten der Film „Green Border“ und Regisseurin Agnieszka Holland zu den Feindbildern der damaligen, bei den Wahlen vom 15. Oktober unterlegenen PiS- Regierung in Polen. Kurz zuvor war die Arbeit der Doyenne des polnischen Films in Venedig mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet worden. Dabei muss man diesem jüngsten Opus Hollands bescheinigen, mitnichten „antipolnisch“ zu sein. Vielmehr hält der Film der europäischen Gesellschaft und ihren Abgründen den Spiegel vor, indem er die Verhältnisse an der polnisch-belarussischen Grenze zum Ausgangspunkt nimmt, um anhand von individuellen Flüchtlingsschicksalen an den „Außengrenzen“ der Europäischen Union zu zeigen, wie barbarisch und die Menschenwürde verletzend das reale Europa zurzeit ist. Nur wer seine fünf Sinne nicht beisammen hat, wird „Green Border“ ein gegen Polen gerichtetes Ressentiment vorwerfen, denn die Geschichte könnte genauso gut an den bulgarischen oder griechischen EU-Außengrenzen spielen, gar nicht zu reden von den europäischen Mittelmeerstaaten, welche die Flüchtenden in abenteuerlichen Überfahrten zu erreichen suchen. „ Nur wer seine fünf Sinne nicht beisammen hat, wird ‚Green Border‘ ein gegen Polen gerichtetes Ressentiment vorwerfen; die Geschichte könnte genauso an anderen EU-Grenzen spielen. “ Speziell ist natürlich die historische Konstellation, dass der belarussische Diktator Aljaksandar Lukaschenka Flüchtlinge per Flugzeug nach Minsk und dann per Auto an die polnische Grenze karren lässt, um sie dort einem Pingpongspiel zwischen polnischen und belarussischen Pushbacks auszusetzen. Alle einigermaßen wachen Zeitgenossen wissen längst um diese menschenunwürdigen Vorgänge. Die große Tat, die „Green Border“ vollbringt, ist, diesem Wahnsinn auch Gesichter zu geben. Denn die Handlung ist zwar Fiktion, aber sie zeichnet die brutale Wirklichkeit nach, an der es nichts zu beschönigen gibt. An seinen Grenzen endet Europas Menschlichkeit. Kaum ein Spielfilm „dokumentiert“ dies so eindrücklich wie Agnieszka Hollands Flüchtlingstragödie „Green Border“. Wo sich Europa delegitimiert „Green Border“ zeichnet das Schicksal einiger Passagiere eines Flugzeugs nach, die 2021 in Minsk gelandet sind und dann an die polnische Ostgrenze geschafft wurden. Trügerisch, dass sie in der belarussischen Hauptstadt mit einer Blume empfangen wurden auf dem Weg in die „Freiheit“. Wenig später werden sie von den belarussischen Schergen über die Grenze nach Polen getrieben und dort von den Grenzern wieder nach Belarus zurück. Die ganze individuelle Unmenschlichkeit wird offenbar, wenn der Grenzer der einen Seite einem fast Verdurstenden mit Glasscherben versetztes Wasser zu trinken gibt und jener auf der anderen Seite der Englischlehrerin Leila aus Afghanistan, die um einen Schluck Wasser fleht, dafür 50 Euro abzuknöpfen sucht. Stellvertreter der Weltöffentlichkeit Am 4.10.2023 sprach DIE FURCHE mit Agnieska Holland über „Green Border“, siehe „Irgendwann schießen wir auf Flüchtlinge“ furche.at. Die afghanische Lehrerin, die vor den Taliban geflüchtet ist, ist eine der Protagonistinnen im Film, die erkennen muss, dass sie nicht in einem gelobten Land, sondern in einer neuen Weise der Barbarei angekommen ist, der sie ja zu entkommen suchte. Da sind dann auch Bashir und die schwangere Amina, die mit ihrer syrischen Familie vor dem IS und dem Assad-Regime geflohen sind: Auch sie geraten in die Mühlsteine der Pushbacks. Eines ihrer Kind ertrinkt in diesem Wahnsinn: Der Zuschauer wird zum Stellvertreter einer Weltöffentlichkeit, die dies achselzuckend, teilnahmslos oder fassungslos geschehen lässt. Agnieszka Holland geht aber auch der polnischen Seite an der Grenze nach: Grenzsoldat Jan und seine schwangere Frau sind gleichfalls Protagonisten des Films. Jan ist hin- und hergerissen zwischen Pflicht erfüllung, der Propaganda seiner Vorgesetzten, die den Grenzern einhämmern, die Flüchtlinge seien verkappte Terroristen, die das Land mit Anschlägen überschwemmen würden, und dem Zweifel, ob das, was er tut, richtig ist. Und auch Aktivistin Julia, die an der Grenze versucht, Flüchtlingen zu helfen, gerät in die Fänge der Staatsmacht, die vorgibt, Europa zu schützen. Regisseurin Holland erzählt in diesen ineinander verwobenen individuellen Geschichten, wie sehr die prekäre Grenzlage das europäische Freiheits- und Wohlstandsversprechen delegitimiert. Dass Europa auf Kosten nicht nur der Natur, sondern auch der Menschen anderer Weltgegenden lebt, wird anhand dieser Schicksale mehr als greifbar. In der Bildersprache, in den Gesichtern, die „Green Border“ zeigt, ist der Film kaum erträglich, düsteres Licht und dokumentarisches Schwarzweiß tun ein Übriges. Wenn man mit Film die unerträgliche Konsequenz europäischer Politik auf den Punkt bringen kann, dann so wie dieser eindrückliche Zugang von Holland. Ob „Green Border“ aber auch etwas bewirken wird? Film als unerbittlicher Chronist der Zeitläufte – das mag hier ein weiteres Mal beklemmend sichtbar sein. Wie aber Menschen aufrütteln, die einfach nicht sehen wollen, was Geflüchteten angetan wird? Dass Film – wie bei „Green Border“ – sich zur moralischen Anstalt aufschwingt, wird da leider nicht genügen. Green Border (Zielona Granica) PL/F/CZ/B 2023. Regie: Agnieszka Holland Mit Jalal Altawil, Maja Ostaszewska, Behi Djanati Ataï, Mohammad Al Rashi, Dalia Naous, Tomasz Włosok. Panda Film. 152 Min.

DIE FURCHE · 5 1. Februar 2024 Medien 21 MEDIEN IN DER KRISE Ach, Radio Ö1! ein Zweig des Baumes der Radiovision der sechziger Jahre des „Doch vorigen Jahrhunderts ist noch grün: das Programm Österreich Eins.“ So seufzte Hubert Gaisbauer, einer aus der Mannschaft, die in den 1960ern unter Gerd Bacher Ö1 „erfand“, vor etwa eineinhalb Jahren in einer FURCHE-Elegie auf die Radiokultur. Gaisbauers Wort in Gottes Ohr. Aber ob es auch erhört wird? Daran kommen einem Ö1-Hörer Zweifel. Und zwar nicht bloß angesichts der Reform, die sich der heimische Kultursender Nummer eins ab 5. Fe bruar verpasst. Man wird diesbezüglich einmal hin- und hineinhören müssen und will sich nicht von vornherein nötiger Innovation verschließen. Ob jedoch eine zehnstündige (!) Tagesmoderation mittels einer einzigen Radiostimme, mit der das p. t. Publikum nun beglückt werden wird, der Weisheit letzter Schluss ist? Oder auch, dass man zwei unterschiedliche Religionssendungen wie Praxis und Logos bzw. Tao in eine Sendleiste Im Fokus – Religion und Ethik am Mittwoch zusammenzieht, ist kein Zeichen für mehr (Programm-)Vielfalt. Das neue Programmschema von Ö1, dem man seine Chance einräumen will, gibt aber bestenfalls Auskunft darüber, welchen Stellenwert Österreichs größte Medienanstalt der Radiokultur zu geben gewillt ist. Ö1 war und ist nicht bloß ein ORF-Programm unter vielen. Sondern es hat sich als europaweit einzigartiges Kulturmedium etabliert, das auch in seinen Reichweiten die Perfor- „ Ö1, wie es gerade noch existiert, ist etwas anderes als bloß eine Ausspielplattform für medialen ‚content‘, wie es auf Neudeutsch heißt. “ mance vergleichbarer Sender in Europa in den Schatten stellt. Und, ja, es ist nicht nur öffentlich-rechtlicher Rundfunk pur, sondern ein kulturelles Aushängeschild des Landes. Doch das Schild ist längst verbeult – und dies geschah schon lang vor der aktuellen Programmreform. Dieser Tage wurde ein offener Brief Alfred Treibers und Peter Kleins, Ö1-Chefs 1995–2010 bzw. 2014–19, der auch von Gerhard Ruiss von der IG Autorinnen und Autoren mitunterzeichnet wurde, an die ORF-Oberen veröffentlicht. Die Briefschreiber weisen darauf hin, dass mit der „Inhalierung“ der Ö1-Redaktionen in multimediale Cluster auf dem Künigl berg das Profil, aber auch die kulturelle Bedeutung von Ö1 auf dem Spiel stehen: „Auf keinen Fall ... darf Ö1, wie beabsichtigt, filetiert und als organisatorische Einheit aufgelöst werden.“ Man schließt sich der Sorge der Briefschreiber an: Ö1, wie es gerade noch existiert, ist etwas anderes als bloß eine Ausspielplattform für medialen content, wie es auf Neudeutsch heißt. Klar, dass sich Radiokultur auch gegen das Audio-Fastfood der Podcasts, die wie Pilze aus dem Boden schießen, behaupten muss. Aber wer, wenn nicht der ORF sollte hierzulande die finanzielle Ausstattung besitzen, um eine kulturelle Großtat wie Ö1 am Leben zu erhalten – und zwar wirklich? (Otto Friedrich) DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. Die FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: Generation Tiktok Nr. 7 • 15. Februar Nicht nur viele Eltern und Lehrkräfte, auch Verlage und die Politik stehen den Mediengewohnheiten junger Menschen anno 2024 ratlos gegenüber. Was braucht und wie erreicht man die „Generation Tiktok“? Zukunft der Zeitung Nr. 9 • 29. Februar Seit Jahrzehnten wird Print totgesagt. Und ebenso lange wird das bestritten. Sicher ist, dass Digitalisierung und Internet die Medienwelt radikal verändert haben. Was bedeutet dies fürs klassische Medium Zeitung? Was wir essen werden Nr. 11 • 14. März Der Zukunft der Ernährung widmet sich das diesjährige Symposion Dürnstein. Die nationale und globale Ernährungssicherheit steht ebenso im Fokus wie die Folgen der Lebensmittelindustrie für die Biodiversität. Nach dem Krebs Nr. 8 • 22. Februar Diagnose, Therapie, Heilung – und was dann? Die Zeit nach einer Krebserkrankung bringt ihre ganz eigenen Herausforderungen mit sich, von neuen Routinen, Ängsten und einem veränderten Blick auf das Leben. Frauen, vergessen Nr. 10 • 7. März Sie waren erfolgreiche Schriftstellerinnen, sie waren erfolgreiche Journalistinnen – und trotzdem kennt kaum jemand ihren Namen, während ihre männlichen Kollegen längst Klassiker sind. Diese Art Vergessen passiert nicht nur, sie hat System. Waldland Österreich Nr. 12 • 21. März Zum internationalen Tag der Wälder richten wir den Blick auf das Waldland Österreich: Fast die Hälfte des Staatsgebietes ist bewaldet, doch das „grüne Herz“ gerät zusehends in Klima-, Energie-, Bau- und Freizeitstress. Der Vorstand und die Kollegen des Verbands Österreichischer Zeitungen trauern um Ehrenpräsident Dkfm. Dr. Werner Schrotta der am 19. Jänner 2024 nach langer, schwerer Krankheit verstorben ist. Werner Schrotta war ein guter Freund, ein hochgeschätzter Kollege und ein unermüdlicher Kämpfer für die Interessen der österreichischen und europäischen Zeitungsverleger. Gott – (k)eine Frage Nr. 13 • 28. März In säkularen Gesellschaften spielt Religion eine immer geringere Rolle. Was bedeutet das für die Gottesfrage? Hat sich der Glaube an ein übergeordnetes und übernatürliches Wesen erübrigt? Oder kommt er wieder – und ganz neu? Wie geht Verzeihen? Nr. 15 • 11. April Kaum eine Beziehung kommt ohne Verletzungen aus. Versöhnung kann helfen, um einen Neustart zu wagen. Aber haben wir das Verzeihen in Zeiten von immer extremeren Positionen bereits verlernt? Wie es dennoch gelingt. Gedankenraub Nr. 17 • 25. April Von KI-Kunst bis Gen-Daten: Das 21. Jahrhundert revolutioniert die Definition von „geistigem Eigentum“ und stellt an Juristen, Philosophen und Datenschützer spannende – und beunruhigende – Fragen. Diagonale Nr. 14 • 4. April Österreichs Filmbranche versammelt sich in Graz zur großen Werk- und Leistungsschau. Wie hat sich das Filmland Österreichs im letzten Jahr entwickelt? Und was wird anders unter der neuen Diagonale-Intendanz? Der Aufklärer Nr. 16 • 18. April Am 22. April jährt sich der Geburtstag Immanuel Kants zum 300. Mal. Wie kaum ein anderer hat der Königsberger das Denken revolutioniert. Wie steht es heute um den Ausgang aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“? Wandel in Südafrika? Nr. 18 • 2. Mai Im globalen Superwahljahr 2024 begeht Südafrika das 30-Jahr-Jubiläum seiner ersten demokratischen Wahl von 1994. Doch statt Feierlaune dominiert eine Atmosphäre der Frustration und Enttäuschung. Warum? Unsere Gedanken und unser tief empfundenes Mitgefühl gelten in diesen schweren Stunden seinen Angehörigen und Freunden. In Dankbarkeit und bleibender Erinnerung *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 Mag. Markus Mair Präsident Mag. Gerald Grünberger Geschäftsführer JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR.

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