DIE FURCHE · 5 14 Diskurs 1. Februar 2024 ERKLÄR MIR DEINE WELT In diesen Momenten spüre ich mein Älterwerden Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Schon wieder fällt es mir schwer, auf Ihren Brief zu antworten. Schon seit meiner Kindheit und Jugend bereitet mir die Vorstellung Sorgen, irgendwann vielleicht auch wieder in einem Land zu leben, das totalitär werden könnte. Dass mir diese Gedanken bereits früh durch den Kopf gingen, liegt daran, dass ich mit meinem Opa schon im Kindergartenalter über die Weltkriege gesprochen habe. Natürlich in altersgerechter Form. Die Narbe auf seinem Bauch war für mich wie ein Mahnmal. Sie fragen mich, was wir gegen das Gespenst einer drohenden illiberalen Demokratie tun können. Vor ein paar Jahren hätte ich Ihnen wahrscheinlich laut und engagiert geantwortet und an unsere menschliche Solidarität appelliert. Ich fühle mich abgestumpft „ Schon seit meiner Kindheit und Jugend bereitet mir die Vorstellung Sorgen, irgendwann vielleicht auch wieder in einem Land zu leben, das totalitär werden könnte. “ Und heute? Sie erreichen mich auf meinem Arbeitsweg in der U6. Während ich Ihren Brief lese, blicke ich immer wieder aus dem Fenster und hoffe auf einen Geistesblitz. Er bleibt aus. In Momenten wie diesen spüre ich mein Älterwerden. Ich fühle mich abgestumpft und beginne, an mir zu zweifeln. Vielleicht sollten Sie mich gegen eine jüngere Version von mir austauschen. Aber Zeitreisen gibt es ja noch nicht. Ich atme tief ein und gehe in mich, denn ich kann Sie ja nicht hängenlassen. Die offensichtlichste Antwort wäre die Aufforderung zur Demonstration. Ein Interviewpartner meinte einmal zu mir: Die einzige Macht, die wir haben, ist, auf die Straße zu gehen und für unsere Werte einzustehen. Erst die physische Anwesenheit und Sichtbarkeit von Menschenmengen setzen Entscheidungsträgerinnen und -träger unter Druck. Ja, das macht Sinn, dachte ich mir damals. Inzwischen frage ich mich aber: (Wie) Wird sich dieses gemeinschaftliche Zeichen auf die kommenden Wahlen auswirken? Ich hoffe, Nichtwählerinnen und -wähler der Vergangenheit fühlen sich angesprochen und sind motiviert, ihre Stimme abzugeben. Gleichzeitig überfordert mich jeder weitere Gedanke an die bevorstehenden Wahlen. Missgunst und Irrationalität Der mediale Umgang mit Lena Schillings Kandidatur war für mich wieder einmal ein Beispiel dafür, wie Oberflächlichkeiten benutzt werden, um von Inhalten abzulenken. Eine fette Portion Whataboutism ist mir in den Gesprächen mit Personen aus älteren Generationen begegnet. (Natürlich werden auch jüngere Menschen Schilling in ähnlicher Art und Weise kritisieren. Aber in meinem Umfeld waren es eben auffällig viele ältere Personen.) Eine Mischung aus Missgunst und Irrationalität höre ich aus der Diskussion raus. „Zuerst demonstrieren und jetzt tausende Euro abcashen, ohne wirklich je gearbeitet zu haben“ oder „Die wird sich schon anschauen, wenn sie in Brüssel nicht weiterkommt mit ihren Ideen“: So oder so ähnlich waren die Meinungen. Auch wenn ich mich bemühe, verstehe ich sie nicht. Noch nie zuvor habe ich in Diskussionen über Kandidatinnen und Kandidaten gehört, dass man ihnen das Gehalt neidig ist. Hä? Das würde ja auch jede andere Person erhalten, die kandidiert. Ist es in dieser Überlegung nicht noch wichtiger, dass die Kandidatin oder der Kandidat inhaltlich top informiert ist und mit Leidenschaft und Überzeugung für seine oder ihre Werte eintritt? Ich hoffe, Sie können die ersten sonnenerfüllten Tage genießen. Von Alfred Komarek Der Schriftsteller Alfred Komarek ist am 27. Jänner In FURCHE Nr. 48 78-jährig verstorben. In memoriam bringen wir einen 3800 1. Dezember 2005 Text von ihm, der 2005 in der FURCHE erschienen ist. 1966 schrieb Alfred Komarek als Jus-Student über die „Schmutz- und Schundschlacht“ der Illustrierten: „Die Frechheit, mit der diese Erzeugnisse angeboten werden, ist ein Schlag ins Gesicht des Staates und seiner Justiz.“ 2005 bat ihn die FURCHE zu einem Kommentar. Pfui, wie aufregend! AUSGABEN DIGITALISIERT Ach weh gerufen. Die schlimmsten Kritiker der Elche waren früher selber welche. Vor nunmehr 39 Jahren war ich Jus-Student, chronisch verarmt und hartnäckig bemüht, mit dem Schreiben Geld zu verdienen. Viel war damals bei der FURCHE allerdings nicht zu holen: die beherzte Schmutz-und-Schund- Eloge wurde mit dreihundert Schilling honoriert. Aber Dr. Horst Friedrich Mayer entsandte mich häufig zu nahrhaften Pressekonferenzen, und das tat meinem mageren Erscheinungsbild sichtlich gut. Ganz abgesehen davon hätte mir nichts Besseres passieren können, als die Lizenz zur Beschäftigung mit medialen Entblößungen zu bekommen. Endlich durfte ich jene Druckwerke gründlich studieren, die mich ohnehin schon immer brennend interessiert hatten. Das war zwar vorher auch schon geschehen, doch mit schlechtem Gewissen. Geschützt von der schimmernden Wehr moralischer Entrüstung war ich nun aber vor sittlicher Verrohung und sexueller Verwilderung gefeit. Zu meiner damaligen Ehre muss ich hinzufügen, dass beides echt und ehrlich war, das lüsterne Interesse wie auch die entschlossene Gegenwehr. Es geht nicht mehr um aufregend Verbotenes oder rührend Banales, es geht um deprimierend Primitives, um schmerzhaft Gewalttätiges. Kein hehrer Kampf wider Lustobjekte demnach, sondern müdes Aufbegehren, Übelkeit und Wut. Zwei Seelen wohnten, ach, in der Brust eines katholischen, aber neugierigen Jünglings. Das mit den zwei Seelen hat sich inzwischen gelegt. Ich bin, was Schmutz und Schund betrifft, in geradezu stupendem Ausmaß frei von Berührungsängsten. Indes weiß ich auch, wie viele anerkannte Literaten irgendwann unter Pseudonymen Schundromane schrieben, der Lust am Bösen wegen, oder dieses, wie Bodo Kirchhoff, sogar zur literarischen Form erhoben. Und die Entrüstung angesichts nackter Leiber und Turnübungen derselben hält sich in Grenzen angesichts ihres inflationären Vorkommens und der damit verbundenen Übersättigung. Sozusagen klassischer Schmutz und Schund ist also heutzutage fast schon Kultverdächtig. Anders sieht es aus, wenn ich statt der in die Jahre gekommenen Hauptwort-Hülsen entsprechende Adjektive verwende: abstoßend und berechnend zum Beispiel. In der Welt der Medien treffen sie auf jenen gar nicht so kleinen Bereich zu, in denen Menschen verachtet, verheizt, verführt, erniedrigt, vorgeführt, missbraucht, verspottet, für blöd verkauft Foto: APA / Herbert Pfarrhofer werden – weiß der Teufel was noch, dem würde gewiss einiges mehr einfallen. Auf solche Schmutz-und-Schund-Schlachten lasse ich mich noch heute ein. Aber es geht nicht mehr um aufregend Verbotenes oder rührend Banales, es geht um deprimierend Primitives, um schmerzhaft Gewalttätiges. Kein hehrer Kampf wider Lustobjekte demnach, sondern müdes Aufbegehren, Übelkeit und Wut. Früher war’s lustiger. Wirklich. VON 1945 BIS HEUTE ÜBER 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT DEN VOLLSTÄNDIGEN TEXT LESEN SIE AUF furche.at Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Philipp Axmann, Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.), Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Magdalena Schwarz MA MSc, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: +43 1 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo (inkl. Digital): € 298,– Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. Digital): € 120,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. Anzeigen: Georg Klausinger +43 664 88140777; georg.klausinger@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Art Copyright ©Bildrecht, Wien. Dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet. Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. Produziert nach den Richtlinien des Österreichischen Umweltzeichens, Druck Styria, UW-NR. 1417
DIE FURCHE · 5 1. Februar 2024 Diskurs 15 Eine OGH-Entscheidung zur planwidrigen Geburt eines Kindes („Kind als Schaden“) hat für Aufregung gesorgt. Laut unserer Autorin führt das Urteil zu mehr rechtlicher Einheitlichkeit. Start einer Debatte. Mehr Klarheit beim Thema Wrongful Birth In einer Anfang des Jahres veröffentlichten Entscheidung (3 Ob 9/23d) sprach der Oberste Gerichtshof (OGH) den Eltern eines mit einer Behinderung geborenen Kindes Ersatz für den Unterhaltsaufwand zu. Der behandelnde Arzt hatte im Rahmen vorgeburtlicher Untersuchungen die Behinderung sorgfaltswidrig nicht erkannt. Hätten die Eltern von der Behinderung gewusst, hätten sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden. Das Gericht erkannte den Eltern Ersatz für den gesamten Unterhaltsaufwand zu – und nicht nur für den behinderungsbedingten Mehraufwand. Dieses Ergebnis ist im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des OGH. Mit dem Zuspruch des Unterhaltsaufwandes in diesen Fällen – auch mit dem Schlagwort Wrongful Birth bezeichnet – wird auch nicht, wie in der öffentlichen Debatte häufig schlagwortartig vorgebracht wird, das „Kind als Schaden“ angesehen. Es geht vielmehr darum, den mit der Geburt des Kindes verbundenen finanziellen Nachteil der Eltern auszugleichen. Demgegenüber hatte der OGH in anderen Entscheidungen ausgesprochen, dass im Falle der planwidrigen Geburt eines nicht behinderten Kindes kein Ersatz des Unterhaltsaufwandes gebühre. Nur ausnahmsweise, im Falle einer außergewöhnlichen Belastungssituation aufseiten der Eltern, sei ein Ersatz des Unterhaltsaufwandes möglich. Diesen Entscheidungen lagen Fälle zugrunde, in denen bereits die Zeugung eines Kindes hätte verhindert werden sollen und in weiterer Folge ein nicht behindertes Kind zur Welt kam (etwa aufgrund einer nicht ordnungsgemäß durchgeführten Vasektomie, also einer Durchtrennung der Samenleiter). In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff Wrongful Conception verwendet. Foto: Reza Sarkari derten Kind der gesamte Unterhaltsaufwand ersatzfähig ist, müsste dies auch bei einem ohne Behinderung geborenen Kind der Fall sein. Ist umgekehrt ein Ersatz nur in Fällen außergewöhnlicher Belastungen vorgesehen, so ist nicht ersichtlich, weshalb bei einem behinderten Kind auch der Basisunterhalt stets eine solche Belastung darstellen soll. Widersprüchliche höchstgerichtliche Entscheidungen sind problematisch. Deshalb sieht das Gesetz hier die Möglichkeit vor, dass ein sogenannter verstärkter Senat, also ein mit mehr Richtern als üblich besetzter Senat, über die entsprechende Frage entscheidet. Eine solche Verstärkung hat DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Barbara Steininger „ Weil weltanschaulich umstritten, hat sich das Parlament bislang nicht geäußert. Nun hat der OGH entschieden. “ der OGH lange abgelehnt. Nunmehr aber hat das Höchstgericht die Uneinheitlichkeit seiner Rechtsprechung anerkannt und im Rahmen eines verstärkten Senates entschieden, wie derartige Fälle zukünftig zu behandeln sind. Dabei kam der OGH zum Schluss, dass es für die Ersatzfähigkeit des Unterhaltsaufwandes nicht auf die Behinderung des Kindes ankommen kann. Vielmehr soll generell dann, wenn bei fachgerechtem Vorgehen bzw. ordnungsgemäßer Aufklärung durch den Arzt das Kind nicht gezeugt oder nicht geboren worden wäre, der Arzt für den von den Eltern zu tragen- Behindert oder nicht behindert? Während in der Rechtswissenschaft zur grundsätzlichen Ersatzfähigkeit des Unterhaltsaufwandes für ein planwidrig geborenes Kind unterschiedliche Ansichten vertreten werden, wurde die eben angesprochene Differenzierung zwischen der planwidrigen Geburt eines behinderten und jener eines nicht behinderten Kindes verbreitet als widersprüchlich kritisiert. Denn wenn bei einem behinden Unterhaltsaufwand für das Kind einstehen müssen. Eine Unterscheidung zwischen Fällen von Wrongful Birth und Wrongful Conception wird bezüglich der Ersatzfähigkeit somit nicht mehr getroffen. Begründet wird der Ersatz anspruch in beiden Fallgruppen damit, dass das Entstehen eines Aufwandes und damit auch das Entstehen eines Unterhaltsaufwandes ein Schaden sein kann. Der OGH betont, dass der Vertrag über den medizinischen Eingriff zur Empfängnisverhütung – wie etwa eine Vasektomie oder eine Eileiterunterbindung – auch die finanziellen Interessen der Eltern umfasse. Dasselbe soll für einen Vertrag über eine Pränataldiagnose gelten; allerdings nur, sofern der konkrete Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig wäre. Dies wird bei einem Abbruch aufgrund embryopathischer Indikation (also bei einer schweren Behinderung des Ungeborenen) bejaht, nicht hingegen bei der Fristenlösung (wo der Abbruch nur straffrei sei). Problematische Widersprüche Der OGH hat somit seine Rechtsprechung vereinheitlicht. Zwar konnten für beide bisherigen Judikaturlinien valide Argumente ins Treffen geführt werden, die Widersprüche zwischen ihnen waren aber höchst problematisch. Es ist in diesem stark von weltanschaulichen Positionen geprägten Themenbereich nur sehr schwer möglich, Einigkeit zu erzielen. Das ist wohl auch der Grund, wieso sich das Parlament, dem es an sich zukommen würde, hier die Richtung vorzugeben, bisher nicht näher zum Thema geäußert hat. Der OGH hat sich nun für einen Ansatz entschieden, der in weiterem Umfang Ersatz zuspricht, keine Abwägungen zum Vorliegen besondere Belastungen erfordert und zudem mit der Rechtsprechung in Deutschland in Einklang steht. Auch wenn damit nur der finanzielle Aspekt aus der komplexen Eltern-Kind- Beziehung herausgegriffen und zur Basis des Schadenersatzanspruchs gemacht wird, hat der OGH durch diese Vereinheitlichung endlich für mehr Klarheit gesorgt. Die Autorin ist Assoz. Professorin am Zentrum für Europäisches Privatrecht der Universität Graz. QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Esel in der Sackgasse Grieskirchen hat Rom getoppt. Grieskirchen, eine Stadtgemeinde nahe Wels. Unspektakulär. Glamourös schon gar nicht. Ursprünglich sollten meine Freundin Steffi und ich mit unseren Söhnen dort eine Ferienwohnung beziehen. Das Piratenbad im Nebenort wäre der Anlaufpunkt gewesen. Doch dann wurden die Kinder krank. Die Väter übernahmen das Bemuttern, schickten uns zweisam ins Frauenwochenende. Ein Debüt war das nicht. Kurz nach der Pandemie waren wir nach Rom geflogen. Das Motto lautete damals: Sightseeing, shoppen, schicke Signori bewundern, die Seele vom Corona-Wahnsinn entgiften. Nach 30 Minuten Grieskirchen hatten wir ein neues Motto: Wir mussten eine Scheune finden. In der Auslage einer Bank waren Immobilienangebote ausgestellt, darunter ein Grundstück zu einem Spottpreis. Zu dem Grundstück gehörte eine Scheune. Steffi wollte ihr Erspartes in die Scheune investieren, und ich wollte, dass Steffi ihr Erspartes in die Scheune investiert. Neben die Scheune wollte Steffi eine Fasssauna stellen; neben die Fasssauna ihren VW-Bus. Damit düsen sie und ihre Familie quasi jeden Sommer durch Griechenland. Wir dachten laut über die Frage nach: Braucht es diese Reisen noch, wenn in Grieskirchen eine Scheune steht? Neben der Fasssauna hätte ein Pool Platz und in der Scheune dutzende Besucher. Bettenlager könnten errichtet, Lagerfeuer entzündet, rauschende Feste gefeiert werden. Auch könnte sich Steffi einen Esel zulegen. Wir beschlossen, die Scheune zu suchen, durchkämmten die Straßen des Ortes, wanderten einen Hügel hinauf und wieder hinunter. Wir durchquerten fremde Gärten, einen Acker, landeten in einer Sackgasse, grüßten jede Grieskirchnerin, jeden Grieskirchner, die oder der uns begegnete. Realität und Fantasie. Alles war verwoben, eine Einheit. Wir alberten herum, lachten schallend, hielten unsere Gesichter in die Wintersonne. Die Scheune war ein Reinfall. Kein Mensch will sich dort niederlassen. Ausgelassen marschierten wir zurück. Unsere Luftschlösser hatten uns zauberhafte Momente beschert. Eines Tages werden wir einen Esel besitzen. NACHRUF Homme de lettres, Sammler, Genießer Als Christian Brandstätter in der Nacht zum 25. Jänner im 81. Lebensjahr starb, wurden in zahlreichen Nachrufen sein Werdegang und seine verlegerische Bedeutung für die Buchkultur in Österreich betont, denn die Verlags- und Kunstszene verlor eine ihrer prägenden Figuren. Nach einem Jurastudium bildeten Lehrjahre im Molden Verlag den Grundstein für ein lebenslanges Wirken im Zeichen der Buchkunst. Als Brandstätter 1982 seinen eigenen Verlag gründete, formte er mit unverkennbarem Gespür für kunst- und kulturhistorische Themen eine Institution, die sich bald in der österreichischen und internationalen Buchlandschaft einen Namen machte. Doch er war viel mehr als das: homme de lettres, Sammler bedeutender Fotografien und, das vielleicht zuvorderst, Genießer. Christian Brandstätters unstillbare Sehnsucht nach schönen Objekten, Fotografien und Kunst war für ihn die Voraussetzung zur Publikation hochwertiger Bücher. Es war eine lebenslange Suche nach spannenden Themen und ästhetisch hochwertigen Dingen, die sich nicht nur in einer sinnlich-haptischen Beziehung zu Druckwerken und Fotografien manifestierte, sondern auch im Wunsch, diese zu besitzen, darüber nachzudenken und das Wissen einem interessierten Publikum zugänglich zu machen. Brandstätter begann sich bereits in den 1960er Jahren für Fotografien zu begeistern, die zu diesem Zeitpunkt am Markt noch völlig unterbewertet waren. So entwickelte er sich zu einem der bedeutendsten Kenner und Fotosammler im Land, dessen Bestände zu einem Hort der österreichischen Kultur- und Gesellschaftsgeschichte wurden. Aus diesem reichen Bilderfundus schöpfend, gründete Christian Brandstätter mit seinem Sohn Nikolaus im Jahr 2002 die Bildagentur Imagno (heute: brandstaetter images), die zu den führenden historischen Bildarchiven des Landes zählt. Neben der ursprünglichen Sammlung werden die Archive bedeutender Fotografen wie Franz Hubmann, Barbara Pflaum oder Franz Xaver Setzer verwaltet und bearbeitet und kontinuierlich weitere Bestände erworben. Christian Brandstätter war vielen ein Freund mit ehrlichem Interesse an seinem Gegenüber. Er war jemand, der zu mannigfaltigen Themen parlieren und dem man stundenlang zuhören konnte, wenn er von Begegnungen mit Literaten, Künstlern oder Fotografen erzählte. Er fehlt. (Gerald Piffl) Foto: APA / Brandstätter Verlag / Julia Dragosits Christian Brandstätter (1943‒2023) war Buchliebhaber, Verleger und bedeutender Sammler österreichischer Fotografie.
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE