DIE FURCHE · 5 10 Gesellschaft 1. Februar 2024 Bauernbub in der Stadt Josef Hader, geboren 1962 in Waldhausen und in Nöchling aufgewachsen, kam 1981 nach Wien. In seinem neuen Film spielt er einen verkrachten Religionslehrer und trockenen Alkoholiker. „ Wenn wir die Demokratie nur als Luft empfinden, die wir atmen, und nicht als etwas, das man auch befeuern muss, dann stirbt sie. “ Foto: Carolina Frank Das Gespräch führte Doris Helmberger Eine Dorfpolizistin (verkörpert von Birgit Minichmayr) ist die Hauptfigur in Josef Haders zweiter Regiearbeit „An drea lässt sich scheiden“, die am 23. Februar in Österreichs Kinos kommt (die Kritik dazu folgt in FURCHE Nr. 8). Wie typisch ist der Fall einer Frau, die der Provinz den Rücken kehren will? Wie groß ist der culture clash zwischen Stadt und Land wirklich? Und worum ginge es eigentlich? DIE FURCHE hat den Kabarettisten, Schauspieler und Regisseur zum Gespräch gebeten. Josef Hader über seinen neuen Film „Andrea lässt sich scheiden“, die Unterschiede zwischen Stadt und Provinz, wütende Bauern, die ÖVP und seine Sorge um die Demokratie. „Die am Land sind nicht böser“ DIE FURCHE: Herr Hader, die heimliche Hauptdarstellerin in Ihrem neuen Film ist die Provinz. Warum? Josef Hader: Ich hab Lust gehabt, mich mit dem Land zu beschäftigen, weil ich von dort stamme und die ersten 20 Jahre meines Lebens dort verbracht habe. Und ich hab auch immer noch Kontakt dorthin: Mein Bruder hat den Bauernhof übernommen. Nach der „Wilden Maus“, in der es um Menschen in der Stadt gegangen ist, wollte ich mir den anderen Mikrokosmos anschauen, der mich stark geprägt hat. Da hab ich mir dann gleich gedacht: Eine Frau ist als Hauptfigur viel besser! Die hat mehr Schwierigkeiten als ein Mann, wenn sie selbstbestimmt leben möchte. Im Verhältnis von Frauen und Männern ist am Land ja nicht so viel weitergegangen, zumindest hab ich diesen Eindruck, wenn ich bei Kollegen aus der Volksschule zu Geburtstagsfeiern eingeladen bin. Das vollständige Gespräch mit Josef Hader ist als Podcast nachzuhören, siehe furche.at/ podcast DIE FURCHE: Der Film spielt im Weinviertel und in St. Pölten. Warum? Und warum ist dann anfangs ausgerechnet die oberösterreichische Landeshymne zu hören? Hader: Ich habe nach einem Lied über Heimat gesucht, mit einer möglichst schönen Melodie und einem möglichst argen Text. Was Besseres als „Hoamatland“ hab ich trotz intensiver Suche nicht gefunden. Dass man seine Heimat lieben soll wie ein Hund seinen Herrn, das sagt viel über Österreich aus, rein geschichtlich, aber auch über die Gegenwart, die ja die Vergangenheit nicht abschütteln kann. Was die Drehorte betrifft, so ist das Hauptproblem immer, dass am Land alles so zersiedelt und auch verschandelt worden ist in den letzten fünfzig Jahren. Das Weinviertel hat – wie andere Gegenden am ehemaligen Eisernen Vorhang – einfach zu wenig Geld gehabt, um überall das Ortsbild zu ruinieren. Da gibt’s viel Horizont mit unglaublichem Wolkenhimmel, drunter die Felder und Straßendörfer, die eine herbe Schönheit haben und fast ausschauen wie Westernstädte. Und das urbane Zentrum im Film ist das arme barocke St. Pölten, das mit einem aufgeblähten Regierungsviertel verhunzt wurde. „ In der Stadt wird man deformiert von zu vielen, die derselben Meinung sind, und am Land von zu vielen, die anderer Meinung sind. “ DIE FURCHE: Ein prägender Satz im Film lautet: „Die Frauen ziehen weg, und die Männer werden immer komischer.“ Sind am Land die Männer die eigentlichen armen Teufel? Hader: Der Satz ist im Film so eine Art Überleitung zu der Figur, die ich spiele – einen Religionslehrer und trockenen Alkoholiker, der in einem baufälligen Haus herumsitzt. Eine sehr filigrane Figur. Jemand, der eine zu dünne Haut für das Land gehabt hat und daran ein bisschen zerbrochen ist. Aber es stimmt schon – und zwar für ganz Europa, von Brandenburg bis Nordfrankreich –, dass in Gegenden mit Landflucht öfter die Frauen weggehen als die Männer. DIE FURCHE: Auch Alkohol und Waffen spielen im Film eine gewisse Rolle ... Hader: Ja, aber das sind alles nur Pinselstriche, die ein Gesamtbild ergeben sollen. Insgesamt würde ich sagen, dass in diesem Film die Menschen weder blöder noch böser sind als in der Stadt, sondern sie sind deformiert von ihrer Umgebung – so wie auch wir in der Stadt von unserer Umgebung deformiert sind. DIE FURCHE: Inwiefern? Hader: Wir in der Stadt sind deformiert von zu vielen Menschen, die derselben Meinung sind wir wir. Und vielleicht auch noch dieselbe Zeitung lesen. Und am Land wird man deformiert von Menschen, die ganz eine andere Meinung haben, mit denen man sich aber nicht zerstreiten will. Mein Bruder zum Beispiel, wenn der von einem Nachbarn einen Satz hört, der ihm nicht gefällt, dann sagt er gern so ein halb nachdenkliches, halb zustimmendes „Jaja“ – und wechselt dann das Thema. Wenn man das nicht so machen würde, wäre man bald mit dem halben Ort zerstritten. Vor allem jetzt, in der Nach-Corona-Zeit. DIE FURCHE: Weil Sie von Ihrem Bruder sprechen, der eine Landwirtschaft betreibt: Auch im Film kommt ein Bauer vor. Weil der krank geworden ist, stirbt ihm das Vieh im Stall. „I schiaß ma a Kugel in den Schädel“, sagt er zur Polizistin Andrea. Da muss man auch an die aktuellen Bauernproteste denken. Wobei es dazu aber auch eine dunkle Geschichte gibt, Stichwort „Landvolkbewegung“ (vgl. Seite 17). Wie geht es Ihnen mit diesen Protesten? Hader: Ich kann mich erinnern, dass die Bauern schon in meiner Kindheit unterm Kreisky auf den Ballhausplatz gefahren sind. Mein Vater hat das immer als bloße Inszenierung betrachtet. Der war überzeugt, dass die sogenannten Bauernvertreter vor allem die reichen Bauern vertreten. Weil sie meistens selber reiche Bauern sind. Und wenn man dann als Bauer miterlebt, wie die eigenen Vertreter zwar groß demonstrieren, wenn eine andere Partei an der Macht ist, aber gleich wieder ruhig werden, wenn die eigenen Leute regieren, dann denkt man sich seinen Teil. Überhaupt sind diese Gegensätze Stadt und Land oder Bauern und Bobos in meinen Augen nur Nebelgranaten. Das ist derselbe Schmäh, wie wenn man die Inländer gegen die Ausländer ausspielt. Der eigentliche Gegensatz ist der zwischen den Menschen, die so viel Geld verdienen, dass sie es in ihrem ganzen Leben nicht mehr ausgeben können – und denen, die jedes Monat nicht wissen, wie sie über die Runden kommen.
DIE FURCHE · 5 1. Februar 2024 Gesellschaft 11 „ Die Rechtspopulisten versprechen, dass alles wieder so super wird wie vor 30, 40 Jahren. Aber was war da schöner? Die Mordrate in Wien war doppelt so hoch wie heute. “ DIE FURCHE: Bei Wahlen zeigen sich aber doch Unterschiede zwischen Stadt und Land: Das Land wählt tendenziell konservativer – und auch öfter die FPÖ. Besonders deutlich war das bei der Bundespräsidentenwahl zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer 2016. Hader: Das war halt ei- ne Zuspitzung und eine Zweiteilung des Landes, wobei ja fast 30 Prozent gar nicht wählen gegangen sind, also eigentlich war es eine Dreiteilung. Die Nichtwählerinnen und Nichtwähler sollte man überhaupt mehr thematisieren. Es werden halt in den Medien gern die Säue nacheinander durchs Dorf getrieben, und eine davon ist diese Überspitzung des Gegensatzes Land – Stadt, so als würden demnächst bewaffnete Milizen gegeneinander kämpfen – die einen mit Heugabeln bewaffnet, die anderen mit Fonduegabeln. Ich lasse mir aber nicht ausreden, dass die Interessen lage zwischen einer alleinerziehenden Mutter in der Stadt und einem Hilfsarbeiter am Land eine ziemlich ähnliche ist. DIE FURCHE: Bleiben wir bei der Politik – und kommen wir zurück nach Niederösterreich, wo es seit dem Vorjahr ein türkis-blaues Arbeitsübereinkommen gibt. Sie haben – gemeinsam mit anderen Künstlerinnen und Künstlern – Johanna Mikl-Leitner im Vorfeld einen offenen Brief geschrieben und davor gewarnt. Offensichtlich ohne Erfolg. Hader: Mir tut das nicht persönlich weh. Mir liegt ja die ÖVP Niederösterreich nicht so eng am Herzen. Aber falls wir an einer ÖVP als Partei der Mitte interessiert wären, die im Interesse der Demokratie weiter relevant bleiben sollte, und jetzt mitansehen müssen, wie die größte ÖVP-Landesgruppe jede Haltung aufgibt und diesen breiten Weg verlässt, auf dem alles Platz gehabt hat: Tradition, Liberalität, eine Liebe zur Kunst, aber auch Heimatverbundenheit – nur weil man nicht mit den Roten zusammenarbeiten mag und stattdessen die dümmliche Symbolpolitik der Blauen brav apportiert wie ein Hunderl –, dann sollten wir sehr besorgt sein. DIE FURCHE: Karl Nehammer hat zuletzt in Wels einen „Österreichplan“ vorgelegt – und schließt eine Zusammenarbeit mit der FPÖ unter dem „rechtsextremen“ Herbert Kickl offiziell aus. Zugleich wünschen sich laut Umfragen 30 Prozent der Menschen in Österreich Kickl als „Volkskanzler“. Wie kann man sich das alles erklären? Hader: Der Punkt ist, dass rechtspopulistische Parteien seit Jörg Haider in den 1980er Jahren in ganz Europa die schlechte Laune, aber auch die Benachteiligung vieler Menschen erfolgreich beackern, indem sie immer sofort jemanden wissen, der daran schuld ist. Die etablierten Parteien – Sozialdemokraten wie Konservative – können das Fortschrittsversprechen, mit dem sie in der Nachkriegszeit zu Volksparteien geworden sind, nicht mehr erfüllen. Sie müssten sich eigentlich hinstellen und sagen: Okay, der Kuchen wird für uns kleiner, weil sich die Länder im Süden nicht mehr alles gefallen lassen – und weil jetzt andere bei der Ausbeutung dieser Länder eine Konkurrenzfirma eröffnet haben, die China heißt. Aber es ist nicht leicht, den Leuten das zu erklären. Scheinthemen sind viel einfacher. Anstatt die großen Proble me anzugehen, regt man sich lieber darüber auf, dass man jetzt gendern soll und nicht mehr „Zigeunerschnitzel“ sagen darf. Das wurde von den Populisten erfunden, und Parteien wie der ÖVP fällt nicht mehr ein, als sie ein bisserl nachzumachen. Was für eine politische Bankrotterklärung! „ Der eigentliche Gegensatz ist der zwischen denen, die so viel Geld verdienen, dass sie es nicht ausgeben können – und jenen, die nicht wissen, wie sie über die Runden kommen. “ DIE FURCHE: Aber kann es nicht sein, dass sich viele Menschen von sich aus eher dafür interessieren, wie sie selbst und „die Anderen“ reden und leben – und weniger für Gerechtigkeitsfragen? Oder wie sonst konnte „Identität“, rechts wie links, so ein Megathema werden? Hader: Das ist eine interessante Frage. Wären wir Verschwörungstheoretiker, könnten wir uns fragen: Wer hat ein Interesse, dass Medien lieber über Gendern, Stadt/Land oder Inländer/Ausländer schreiben als über Arm/Reich? Und wem gehören diese Zeitungen? Aber ganz so einfach ist es nicht. Identität ist für uns alle wichtig, aber warum wäre sie denn so stark gefährdet? Können wir nicht alle, egal, welche Ansichten wir haben, ziemlich unbehelligt unseren Lebensstil pflegen? Holt uns irgendwer das Schnitzel vom Teller? Gibt es einen Tag in der Woche, an dem wir nicht Auto fahren dürfen, so wie zum Beispiel in den Siebzigern während des Ölschocks? Nein, wir können – im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten – leben, wie wir wollen. Da braucht es schon jemanden, der uns einredet, unsere Identität wäre gefährdet, und der uns verspricht, dass alles wieder so super wird wie vor 30, 40 Jahren. Aber was war vor 30, 40 Jahren schöner? Der ehemalige Kriminalist Ernst Geiger hat in einem Buch über den Jack Unterweger geschrieben, dass es im Wien der 1970er Jahre doppelt so viele Mordfälle gegeben hat wie heute. Aber dank populistischer Politik ist das Gefühl der Bevölkerung genau umgekehrt. Vor 120 Jahren waren auch ungefähr genauso viele Migranten in der Stadt, das waren die tschechischen Ziegelarbeiter und viele andere, die aus allen Teilen der Monarchie hierhergeströmt sind. Natürlich muss Migration Regeln haben. Aber dass wir wegen der Menschen, die zu uns flüchten, am Ende wären und alles gleich auseinanderbricht, das stimmt einfach nicht. DIE FURCHE: Apropos Migration: Das Treffen von Rechten und Rechtsextremen in Potsdam, bei dem der Österreicher Martin Sellner einen Plan für „Remigration“ präsentierte, also für die massenhafte Deportation von Menschen, hat für einen Aufschrei gesorgt. In Deutschland gingen über eine Million Menschen auf die Straße, in Wien waren es vergangenen Freitag mindestens 35.000. Auch Sie waren dabei. Aber inwiefern hilft Demonstrieren? Hader: Demonstrieren allein hilft nichts, aber es bedeutet, dass Menschen sich sehr Lesen Sie dazu auch „Josef Hader und Manfred Deix: Teuflisch? Lachhaft!“ (19.2.2004) auf furche.at sowie unter diesem QR-Code: Zum Lachen reizen – und es dann kurzerhand ins Gegenteil verkehren: Das ist die Strategie von Josef Hader, im Kabarett wie im Film. Im Podcast- Gespräch mit Doris Helmberger beschreibt er sein Bild vom Land – und von der Politik. stark für oder gegen etwas einsetzen und sich dadurch als Gemeinschaft erleben. Das gehört zur Demokratie, genauso wie die Bereitschaft, mit dem Nachbarn zu reden und sich notfalls mit ihm zu streiten. Wenn wir die Demokratie nicht befeuern, wenn wir sie nur als Luft empfinden, die wir atmen, und nicht als etwas, für das man auch etwas tun muss, dann stirbt sie. Und es wäre vielleicht auch wichtig, dass wir uns nicht nur an Populisten wie Kickl oder Trump ab arbeiten, sondern uns auch fragen: Wo könnten sie recht haben? DIE FURCHE: Gute Frage. Wo hat Kickl recht? Hader: Hm, ich würde lieber mit Trump anfangen, da weiß ich leichter eine Antwort. Der Trump hat dort recht, wo er ganz klar sagt, dass dieser amerikanische Traum – den es vielleicht nie gegeben hat – jetzt jedenfalls nicht mehr aufrecht ist. Und damit hat er recht. Das Märchen vom Tellerwäscher, der Millionär wird, war ein Schmäh. DIE FURCHE: Und wo hat Kickl recht? Hader: Kickl hat damit recht, dass an unserer Demokratie nicht alles in Ordnung ist. Ehemalige Politiker, die in Aufsichts räten sitzen und Millionen verdienen – man stelle sich einmal Kreisky oder Sinowatz in der Signa vor oder Leopold Figl: Da merkt man den Verfall. Den Unterschied zwischen Willy Brandt und Gerhard Schröder, den möcht ich Klavier spielen können. DIE FURCHE: Was müssten Politikerinnen und Politiker heute tun, um Vertrauen zu gewinnen – und konkret auch Ihres? Hader: Als ich 1981 als Bauernbub vom Land nach Wien gekommen bin, sind wir oft nach der Uni runter ins „Jonas-Reindl“ gegangen, und da sind oft Politiker auf einem Podium gestanden und haben mit allen diskutiert, die vorbeigegangen sind: Das war damals der Erhard Busek, der Jörg Mauthe oder irgendein anderer von der damaligen Wiener ÖVP. Die haben ganz schön was aushalten und einstecken müssen. Ich habe mir damals gedacht: Wahnsinn, in Wien diskutieren die Politiker mit den Leuten in der U-Bahn-Station! Das war nicht im Wahlkampf, die haben das einfach regelmäßig gemacht. Später bin ich draufgekommen, dass der Busek der Einzige war, der das versucht hat mit seinen Leuten. Das war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich ÖVP gewählt habe. Alle Parteien sind herzlich aufgerufen, mich als Wähler in dieser Hinsicht zu überzeugen. VORSORGE & BESTATTUNG 11 x in Wien Vertrauen im Leben, Vertrauen beim Abschied 01 361 5000 www.bestattung-himmelblau.at wien@bestattung-himmelblau.at
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