5 · 1. Februar 2024 DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 80. Jg. · € 6,– Quereinstieg in die Schule: Plötzlich Lehrerin Seit 2003 stehen Chemikerinnen und Unternehmensberater in Klassenzimmern. Sind sie dem Lehrberuf gewachsen? · Seiten 12–13 „Die militärische Pattsituation ist erreicht“ Früchte der Convivencia Bauernproteste und Landvolkbewegung Konfliktforscher Hans-Georg Ehrhart über die Hürden, die Frieden in der Ukraine verunmöglichen, und lähmende Nationalismen. · Seiten 6–7 Muslime, Juden und Christen lebten im mittelalterlichen Andalusien zusammen. Kein religiöses Paradies, das Erbe wirkt bis heute weiter. · Seite 9 1928 eskalierten die Proteste der Bauern in Norddeutschland. Das Symbol auf ihren Fahnen taucht 2024 wieder auf. · Seite 17 Das Thema der Woche Seiten 2–4 Staatsanwaltliche Ermittlungen prägen die Innenpolitik. Höchstgerichte kippen Gesetze. Auch international greift die Justiz der Politik in die Speichen. Kommt die Juristokratie? Justiz im Vormarsch Illustration: Rainer Messerklinger Foto: Carolina Frank „Am Land sind sie nicht böser“ Josef Hader widmet sich in seinem neuen Film „Andrea lässt sich scheiden“ der Provinz. Im FURCHE - Interview spricht er über den (vermeintlichen) Gegensatz zwischen Stadt und Land, wütende Bauern, sein Verhältnis zur ÖVP und seine Sorge um die Demokratie. Seiten 10–11 Österreichs Zivilgesellschaft ist wachsam: Das ist die erfreuliche Lehre aus den letzten Tagen. Weniger erbaulich ist die niedrige Lernkurve von Parteien und Medien. Eine (Selbst-)Anklage. Die Säue und das Dorf AUS DEM INHALT Bidens bürgerliche One-Man-Show Mit Trump zögen in die USA Autokratie und Bündnisbruch ein, sagt Reinhard Heinisch. Über die verbleibenden Trümpfe des amtierenden Präsidenten. Seite 5 Von Doris Helmberger Es war ein beeindruckendes Zeichen zivilgesellschaftlicher Lebendigkeit: Über 35.000 Menschen versammelten sich Freitag vergangener Woche vor dem Parlament, um gegen Rechtsextremismus und offenbar gewordene Säuberungsfantasien zu demonstrieren. Die herbeigeströmten Menschen trotzten nicht nur Regen und Kälte, sondern auch vorauseilenden Unkenrufen, dass sich wohl nur ein überschaubares Grüppchen auf dem Wiener Ring versammeln würde. Doch nein, Österreichs Zivilgesellschaft kam in Scharen. Und das ist eine wirklich gute Nachricht. Getrübt wird sie freilich von so manchen Ausfransungen, die sich bei der Manifestation selbst zeigten: Da waren nicht nur Störenfriede, die mit palästinensischen Fahnen gegen den „Apartheids“-Staat Israel demonstrierten. Da waren auch rechtsextreme Identitäre, die unbehelligt das Dach des benachbarten Palais Epstein erklimmen und ihren Slogan „Remigration“ mit bengalischen Feuern ausleuchten konnten. Ein Armutszeugnis für Staatsschutz und Polizei. Getrübt wird die Freude aber auch dadurch, dass diese Demonstration des Widerstands – anders als in Deutschland – nicht „ Ständig die wichtigen Themen aus den Augen zu verlieren: Diese Unart der Medien zerstört Vertrauen. “ von der breiten Mitte getragen wurde und es keinen parteiübergreifenden Schulterschluss gab. Grüne und SPÖ sprangen zwar auf, Neos und ÖVP hielten sich aber zurück – mit dem Argument, es sei nicht klar gewesen, ob es gegen „rechtsextrem“ oder nur „gegen rechts“ gegangen sei. Und „rechts“ sei ja bekanntlich alles, was nicht links sei. Kickl als „rechtsextremer“ Solist? Das ist tatsächlich ein Punkt. Dennoch ist die Situation zu ernst, um dieses (bewusste?) Missverständnis weiter zu prolongieren. Längst müssten auch Liberale und Konservative die liberale Demokratie mit Verve verteidigen. Aber tun sie das? Zumindest rhetorisch ja. Herbert Kickl sei nicht nur rechtspopulistisch, sondern „rechtsextrem“, erklärte Kanzler Nehammer in der jüngsten Pressestunde – also laut Definition bereit, die herrschenden Verhältnisse notfalls mit Gewalt zu ändern. Nimmt man ihn beim Wort, so läuft der aktuelle taktische Stunt der Volkspartei – ja zur FPÖ, nein zur Kickl-FPÖ – freilich endgültig ins Leere. Denn wer dürfte mit einer Partei koalieren, die sich bis dato von einem potenziellen Staatsfeind führen lässt und unverbrüchlich zu ihm steht? Nicht glaubwürdiger wird Nehammers Abgrenzung durch den freitags präsentierten „Österreichplan“. Neben Schlagworten wie Leistung, Familie und Sicherheit – die für eine bürgerlich-konservative Partei durchaus stimmig sind, sofern es eine Gegenfinanzierung gibt – ist auch von „Anpassung“ und „österreichischer Leitkultur“ die Rede. Was das konkret bedeutet – jenseits des tatsächlich zwingenden Bekenntnisses zu Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten –, bleibt aber diffus. Man muss nicht an Schnitzelprämien nach niederösterreichischer Art des Hauses denken, um diesen Angriff auf die Pluralität von Lebensmodellen fragwürdig zu finden. Nicht nur diese anstandslose Übernahme blauer Begriffe stößt beim „Österreichplan“ sauer auf, sondern auch die altbekannte Taktik seiner Verbreitung. Wie in besten Message Control-Zeiten wurden vorab gezielt Informations- und Aufregerhäppchen (Stichwort „Genderverbot“) gestreut – und von den Medien brav apportiert. „Die Medien lassen sich vom Kanzler instrumentalisieren“, kommentierte Antonia Gössinger in der Kleinen Zeitung dieses kollektive Versagen. Ständig neue Säue durchs Dorf zu jagen und dabei die wichtigen Themen – von der Sicherheitspolitik bis zur Klimakrise – aus den Augen zu verlieren: Diese Unart zerstört freilich Vertrauen – und ebnet den Demokratiefeinden weiter den Weg. Dass Österreichs Medien aus der vergangenen Woche doch noch lernen könnten: Das wäre die zweite wirklich gute Nachricht. doris.helmberger@furche.at Mehr Klarheit bei Wrongful Birth Eine OGH-Entscheidung zum Thema „Kind als Schaden“ hat für Aufregung gesorgt. Laut Barbara Steininger führt das Urteil zu mehr rechtlicher Einheitlichkeit. Seite 15 Wo sich Europa delegitimiert An seinen Grenzen endet Europas Menschlichkeit. Kaum ein Spielfilm „dokumentiert“ dies so eindrücklich wie Agnieszka Hollands Flüchtlingstragödie „Green Border“. Seite 20 Stachelige Persönlichkeiten Aus den Gärten vertrieben, auf den Straßen getötet: Der Igel ist zunehmend bedroht. Wie man den sensiblen Tieren durch den Winter hilft. Seite 22 Die Stunde der Wölfe Ein Drittel der Österreicher leidet unter Insomnie. Das Buch der Medizinerin Birgit Högl zeigt, wie man ein gutes Verhältnis zum Schlaf entwickeln kann. Seite 23 furche.at Österreichische Post AG, WZ 02Z034113W, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien DIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 Wien Telefon: (01) 512 52 61-0
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